Hula-Frau

Ich habe die Augen zugemacht weil ich ein wenig tiefer nach innen gehe wollte. Keine Ahnung wieso, aber ich sah ein warmes Licht sich von oben über mich ergießen. Kaum trifft das Licht auf meinen Körper, schon schält sich eine sehr schlanke Gestalt mich langen Haaren aus meinem Körper, stellt sich in den Lichtstrahl und saugt es begierig auf.

Ich staune, wer ist das? Von hinten könnte das ich sein, mit 16 oder so. Ich gehe näher hin. Sie bemerkt mich und dreht sich um. Oh mein Gott, dass bin ich, aber nicht mit 16 sondern jetzt oder in der Zukunft, ich sehe die Altersspuren in ihrem Gesicht, Falten und leicht verwelkte Haut, auch die Hände und der Bauch, alles ist schon älter, so wie ich in ein paar Jahren oder wenn ich dünn wäre.

Ich bin total berührt von diesem Anblick, mir kommen die Tränen, wenn ich sie ansehe spüre ich meine Energie in ihrer reinsten Form. Sie ist so präsent und ruhig und gleichzeitig strahlt sie ein unglaubliche Kraft aus.

Aber sie ist so wahnsinnig dünn, so wie ich mit 16, 17, aber eben dem Altern angepasst, nicht mehr straff und glatt. Sei ist so hulamäßig angezogen, mit einem langen Hüftrock aus Stofffetzen und einem BH. Sie muss offensichtlich die faltige Haut nicht verstecken. Aber genau das macht es so unglaublich schön. Ich muss dabei die ganze Zeit weinen, ich weiß überhaupt nicht wieso, aber vielleicht muss ich das auch gar nicht wissen.

Du bist so sehr dünn, gehörst du so?

Ja, sonst sähe ich doch anders aus.

Und ich? Wieso bin ich dann so dick?

Weil du noch so viel Gepäck hast, das dich belastet, das habe ich nicht.

Kann ich denn jemals so sein wie du?

Witzig, du bist doch schon ich, ich bin du. Das Gepäck, die Altlasten verhüllen es nur, aber ich bin sowieso immer da, du musst mich nur sehen. Und mich lassen.

Und das Gewicht?

Das Gewicht, das Gewicht, das belastet dich sehr oder? Mich auch, das kannst du mir glauben. Ist jetzt nicht mein Wunschszenario mich hinter all dem Fett zu verstecken. Je mehr ich sein darf, desto mehr wird das Fett gehen. Ich kann dir aber nicht sagen wie lange das dauert und ob es überhaupt jemals passiert.

Heißt das, du durftest bisher überhaupt nicht sein?

Sehr wenig, in letzter Zeit etwas mehr, das hat ja gereicht, dass nicht noch mehr Gewicht draufgepackt wird.

Aber ich verstehe immer noch nicht was du mit ’sein lassen‘ meinst. Was brauchst du um zu sein?

Verstehen, genau, der Kopf gibt keine Ruhe, oder? Will mal wieder einen Masterplan. Aber es gibt keinen, gab nie einen und wird nie einen geben. Aber ich kann dir sagen was ich brauche: Aufmerksamkeit, bei mir sein. Das ist meine Nahrung. Aber das weißt du doch alles schon lange. Wissen reicht nun mal nicht. Erfahre es, bleibt bei mir, dann werden wir uns gemeinsam überraschen lassen, denn ich weiß auch nicht was dann passiert. Nur dass es gut ist, das weiß ich.

Jetzt habe ich Essdruck. Was will ich nicht fühlen?

Die Enttäuschung darüber dass ich wieder kein Wundermittel serviert bekomme, so nach dem Motto, drei Mal nach links verneigen und 20 Minuten atmen oder so, und in drei Monaten wiege ich garantiert 20 Kilo weniger.

‚Du hast doch ein Wundermittel‘, sagt die Hula-Frau, ‚mich. Nur weil dein Verstand einen Plan will, heißt noch lange nicht, dass ein Plan hilfreich ist. Ich habe dir doch gesagt was du wissen musst.‘

Ok, verstanden. Wenn ich reinfühle spüre ich die Hula-Frau in mir. Ich experimentiere ein wenig und finde heraus, wenn ich mit der Aufmerksamkeit bei mir bin, dann wächst sie und nimmt Raum ein, entfaltet sich, wird so groß wie ich und ihre Energie ist ganz stark spürbar, wenn ich mit der Aufmerksamkeit weg bin, rollt sie sich ganz klein zusammen. Das bleibt spannend.

Dem Leben vertrauen

Vorhin hatte ich mein Brot schon fertig, den Kaffee aber noch nicht. Ich erwischte mich dabei, wie ich schon mal ins Brot biss, während ich vor der Kaffeemaschine stand.

Diesmal konnte ich stoppen. Diese Ungeduld und diese Gier sein lassen ohne ihr zu folgen, ohne mich von ihr steuern zu lassen. Ich habe sie gefühlt, bin mit ihr geblieben, innerhalb kürzester Zeit war sie durch mich hindurchgegangen und ich konnte in Ruhe warten bis alles fertig war.

In den letzten Tagen habe ich das immer wieder erfahren. Ob es um Unwillen geht die Wäsche zu machen, ob es um Druck geht weil noch so viel zu tun ist, oder eben Gier oder auch nicht mit dem Essen aufhören wollen.

Diese Programme starten automatisch, wenn ich darauf warte bis sie nicht mehr starten, wenn das die Voraussetzung ist für Entwicklung, dann wird das möglicherweise nie der Fall sein. Egal wie viel ich hinterfrage und erforsche, wenn ich ihnen immer weiter folge, nur weil sie da sind, dann gibt es keine Entwicklung. Die Fähigkeit nicht zu folgen steigt mit jedem Mal, das ich nicht gefolgt bin, in all den Jahren des ständigen Hinterfragens, ist der Drang kein Stück weniger geworden. Es reicht einfach nicht im Kopf zu bleiben, auch wenn es sehr verlockend ist.

Ich hatte das viele Jahre falsch verstanden, ich dachte, wenn ich brav hinterfrage und Übungen mache, dann kommt der Drang irgendwann nicht mehr. Genau das stimmt nicht. Ein Muster lässt sich nur schwächen, wenn man lernt den Abstand zwischen Reiz und automatischer Reaktion zu vergrößern bis man die Reaktion weglassen kann, und das ist ein willentlicher Akt, nichts was einfach passiert, es ist eine Entscheidung, mal wieder, oder immer noch.

Und alles was man braucht um diesen Abstand zu vergrößern ist das Fühlen. Das Fühlen dessen was ist, sich beistehen und begleiten, durch jede Erfahrung, denn jede Erfahrung ist gültig, weil sie ist.

Und ja, ich erlebe es immer öfter, weil es mir immer öfter einfällt. Es wird ein Stück weit selbstverständlich. Egal wie es mir geht, ich brauche nicht weglaufen, ich muss es nicht wegdrücken oder betäuben, ich kann und darf es einfach fühlen, ich darf mir beistehen und mit mir verbunden bleiben, ich kann mein Herz offen halten für alles was ist.

Denn alle Emotionen, egal wie unerwünscht oder unangenehm, sind das was notwendig ist. Sind mein Seelenfutter vom Universum geschickt, weil es das ist was ich genau in diesem Augenblick brauche. Nur damit entwickelt es sich weiter in die Richtung in die es sich entwickeln soll und die ich nicht kenne, die ich nicht kennen kann, als Mensch mit meinen begrenzten Fähigkeiten.

Und dem kann ich Vertrauen, auch wenn mein Verstand protestiert, weil er es nicht versteht. Aber so etwas wie ein Verstand kann es gar nicht verstehen, weil er immer ordnen und sortieren muss und eine Logik aufbauen will. Aber das Leben ist weder ordentlich, noch gut sortiert noch logisch. Es ist nur Leben.

Und weil ich jedes Mal wenn ich zu mir zurückkehre und mich dem Leben anvertraue ohne zu wissen was dabei rauskommt mich so berührt und beschützt und wohl und zuhause fühle, selbst im unangenehmsten Gefühl, weil das so ist, weil ich diese Erfahrung gemacht habe, nicht nur einmal, sondern viele, viele Male, kann ich langsam dem Leben ein wenig mehr vertrauen. Und ich weiß, mit jeder Erfahrung wird es noch stärker werden dieses Vertrauen.

Ich freue mich darauf.

Nichts Besonderes

Heute in der Therapie haben wir mit meinem grundsätzlichen Gefühl des Makels gearbeitet. Ich bin mit einem Makel geboren. Ein Stigma, das jeder sehen kann.

Diesen Satz auszusprechen löste eine körperliche Erleichterung, Entlastung und Entladung aus. Nach einer Weile des Nachspürens, kam der Gedanke, dass, wenn ich mit einem Makel geboren bin, alle anderen auch mit einem Makel geboren sein müssen, denn an mir ist nichts besonders.

Und das war dann der noch schönere Satz: ‚Ich bin nichts Besonderes.‘ Was für eine Erleichterung, wie Balsam über meine angespannte Seele, ich darf normal sein, nichts besonderes tun, nicht besonders aussehen, nichts besonderes leisten. Ich bin so wie alle. Ich darf so wie alle sein.

Wenn ich mir das ins Bewusstsein hole, kommen mir jedes Mal noch die Tränen vor Erleichterung. Mit diesem Satz soll ich als Hausaufgabe die nächsten Wochen meditieren.

Ich fühle mich dann auf einer tiefen Ebene mit jedem verbunden, ich gehöre dazu, ich bin genau so wie meine Schwiegermutter, die Mütter vor der Schule, irgendwelche dicken, schmuddeligen, rauchenden Frauen mit fettigen Haaren, Männer jeglicher Art, es ist faszinierend, egal welchen Menschen ich mir vor Augen hole, und werde er von mir noch so gemieden oder verurteilt, in diesem Bewusstsein fühle ich zu jedem eine Verbindung, ich fühle eine Ebene auf der ich genau so bin, auf der wir alle sind.

Dieser Satz kam aus mir, den hat mir meine Seele vorgegeben, er war mir schon vorher in verschiedenen Konzepten begegnet, aber wenn es nicht von innen kommt, dann ist es nicht an der Zeit oder nicht das Richtige. Und er ist absolut liebevoll, eine ganz weiche warme Energie, meint nichts Abwertendes, dass ich nicht zähle oder Ähnliches, im Gegenteil, dass ich genau so zähle wie jeder, dass jeder zählt. Sehr faszinierend.

Der Melodie lauschen

Ich esse aus dem Topf im Vorbeigehen. Obwohl ich Hunger habe und mir etwas Schönes zum Essen machen könnte. Aber dazu bin ich zu unruhig. Verschiedene Schwierigkeiten des Alltags versetzen mich sofort in meine altbekannte innere Panik.

Mein Brustkorb explodiert gleich, Kiefer und Magen total angespannt. Ich bleibe dabei und lausche, das was ich empfange, das ist meine heutige Melodie, die ich nicht haben will und mit Essen wegdrücken will.

Der Essdruck ist weg, allein weil ich mit meiner Aufmerksamkeit im Körper geblieben bin, der Melodie gelauscht habe, ohne sie verändern zu wollen. Die Unruhe ist noch da, aber der Teil der nur dazu da ist um sie wegzudrücken, der Essdruck, der ist weg, weil er keine Funktion mehr hat. Wenn ich die Unruhe wahrnehme und bei ihr bleibe, dann braucht es nichts mehr um sie wegzumachen.

Dieses kalte Essen aus dem Topf ist überhaupt nicht das was summt, mir wird klar, wie sehr ich meinem Körper in solchen Momenten Gewalt antue, ich quäle ihn und meine es zu brauchen.

Mein dünner Körper in mir ist nur schwach spürbar, der Krampf und die Spannung drücken ihn zusammen.

Tränen, es ist schwer, ich habe Mitgefühl mir mir, mit dem wie es ist. Wenn etwas erledigt werden muss, dann setzt mich das unter einem enormen Druck, es muss sofort geschehen, auf der Stelle, ansonsten kommt die Spannung und Unruhe. Und das sind keine großen Dinge, eine Veranstaltung organisieren, ein paar Verträge ändern.

Was ist los? Warum muss das sofort geschehen?

Ich kann es nicht aushalten, dass ich es noch machen muss. Wenn es gemacht ist, bin ich es los.

Und was ist schlimm daran?

Es kommt keine Antwort. Ich halte diese Frage in mir und spüre was im Körper dabei passiert. Aufruhr, noch mehr Spannung, würgen, zittern, zucken, das ganze Programm. Aber keine weitere Information. Ich halte einfach diese Spannung in meinen Armen, sie ist schon ganz lang bei mir, ich spüre es ist ein Mangel an Vertrauen, ich kann keinen Fleck unkontrolliert lassen. Das ist der Ursprung.

Ein Meer von Tränen fließt aus mir raus, wenn ich die Augen öffne und mich mit der Realität verbinde, wird die Trauer noch intensiver, bedeutsamer, tiefer, aber auch glücklicher, zufriedener, es ist als würde es der Trauer gefallen ins Jetzt geholt zu werden, aus ihrer Verbannung in der Dunkelheit geholt zu werden.

Es erfüllt mich mit Freude und Zufriedenheit tief bei diesem Gefühl zu bleiben, meiner Melodie zu lauschen und gleichzeitig hier zu sein, die Augen offen zu haben. Ich wollte sowieso viel mehr mit offenen Augen arbeiten, damit ich das wirklich jederzeit machen kann, aber nun zeigt sich, dass es eine ganz neue Qualität mit sich bringt, eine Qualität des gesehen Werdens, die bisher nicht da war.

Die Spaltung aufheben

Ich bin heute nicht in Yoga gegangen. Zum einen, weil es in diesem Jahr recht doof kollidiert mit dem Stundenplan meiner Kinder, aber hauptsächlich weil ich mich getraut habe meinem Gefühl zu folgen, gegen all die Stimmen, die mir sagen, dass alles zugrunde geht, wenn ich anfange feste Stunden zu schwänzen.

Aber dieser Kurs ist nicht mehr ganz das Richtige für mich, das spüre ich seit einiger Zeit. Ich möchte so üben, wie es mir gut tut, und nicht etwas machen müssen. Das hat einfach keinen Wert mehr. Erst habe ich nach anderen Kursen gesucht, bis mir aufgefallen ist, dass das nichts ändert. Auch dort werde ich einem Programm folgen müssen. Manchmal ist das gut, aber eben nur manchmal.

Ich kann der Erkenntnis nicht mehr ausweichen, ich muss die Verantwortung übernehmen. Seit Tagen habe ich immer wieder den Gedanken, dass ich viel eigenverantwortlicher mir dem Körper umgehen muss. Die Zeit ist vorbei, als ich noch eine Abhängigkeit von festen Stunden oder auch festen Übungsabfolgen gebraucht habe.

So wie es darum geht, den Alltag zu einer Art Dauermeditation und ständigen inneren Arbeit zu machen, sich unabhängig zu machen von Gruppen oder Lehrer (habe Michael Browns neue Website gefunden, da gibt es jede Menge kostenloses Material) so geht es auch darum, den Alltag für ein kontinuierliches Trainingsprogramm zu nutzen.

Es geht darum die Spaltung aufzuheben. Die Spaltung zwischen ‚jetzt ist Zeit für die innere Arbeit oder Mediation‘ und ‚dann kommt der Rest des Tages, der Alltag‘. Oder ‚jetzt ist Zeit den Körper zu bewegen und zu trainieren‘ und ‚dann kommt der Rest des Tages, der Alltag‘. Oder auch ‚jetzt ist Zeit zu entspannen und zu genießen‘ und ‚dann kommt der Rest des Tages, der Alltag‘.

Wenn der Alltag also immer von Allem getrennt ist was mir Freude macht und mich nährt, dann ist es kein Wunder, dass ich im Alltag leide, und esse.

Es geht um das sowohl als auch, im Gegensatz zu entweder oder. Und um Integration aller Anteile.

Ich kann, wenn mir danach ist, eine Trainingsstunde besuchen, aber ich kann das bewusste Bewegen meines Körpers auch einfach in den Alltag einbauen, indem ich z. Bsp. mein Wäschewaschen mich nicht einfach irgendwie bücke, sondern kontrolliert. Indem ich zwischendurch ein paar Übungen mache als Abwechslung. Ich kann mich hinsetzen zur inneren Arbeit, aber ich kann auch während ich den Haushalt mache mich dabei innerlich begleiten. Alles geht, wenn man es nicht zu ernst nimmt sondern sich erlaubt damit zu spielen.

Ich muss mich nicht verlassen oder auf das verzichten was mich nährt, nur weil ich eine bestimmte Aufgabe erledigen muss. Genau das hat mir mein altes Paradigma aber vorgegeben. Entweder ganz oder gar nicht. Unter diesem grausamen Diktat leide ich schon lange.

Aber nun beginnt etwas aufzuweichen, feste Mauern werden eingerissen, ich fühle, dass es nun in diese Richtung geht, das ist der nächste Schritt, ich fühle dabei Weite, Offenheit, Freude, Wärme.

Sehnsucht

Ich schwinde mal wieder.

Schon den ganzen Tag ein Unwohlsein, habe mich aber entschieden es nicht weiter zu beachten und stattdessen Punkte abzuarbeiten und zu essen. Das habe ich nicht bewusst entschieden, aber wenn ich nicht bewusst entscheide, entscheidet es für mich, das automatische Programm.

Doch als ich beim Küche Aufräumen buchstäblich drohte wegzusinken, weil ich spüren konnte, wie mich die Lebenskräfte verlassen, und zum dritten Mal in die Chipstüte griff obwohl ich Chips gar nicht mag, da war der Moment gekommen für ein wenig Entscheidung.

Ok, was ist los?

Ich fühle mich, als würde mich die Welt von alles Seiten zusammendrücken, sie hält mich fest und drückt mich zusammen, sie belastet mich, ich spüre diesen Druck körperlich. Gleichzeitig spüre ich eine Fluchtbewegung, ein Teil will weg von hier, will nach unten verschwinden, sich vom Acker machen.

Ich bleibe einfach bei diesen Empfindungen, kann eh nichts tun. Es fröstelt mich, es schüttelt mich, es zuckt.

Jede Erfahrung ist gültig, fällt mir Michael Brown ein, es ist genau die Erfahrung, die jetzt notwendig ist um blockierte Emotionen zu integrieren.

Ich stelle die Frage, ob ich mich zu einen früheren Zeitpunkt schon so gefühlt habe. Es kommen Bilder, von Studienzeiten, von Schulzeiten, vom Auswandern. Ich stelle immer wieder die Frage nach einen noch früheren Zeitpunkt.

Ich sehe mich als ganz kleines Baby schon dem Druck ausgesetzt und auf der Suche nach einem Fluchtweg. Es ist wie eine Geburtsprägung, das ist mein Lebensmodus, ich sage mal optimistisch: war es bisher.

Ich bleibe einfach dabei und bin mit mir und den Gefühlen, ich halte mich dabei während sei durch mich hindurchziehen. Auch während ich meine Tochter von der Schule abhole, zittern, frieren, zucken, würgen, alles dabei. Es wird immer schlimmer, und dazu kommt noch eine bleierne Müdigkeit, als würde ich jeden Moment wegdriften, als wäre hierbleiben einfach zu schwer.

Ich konnte nicht mehr, ich habe mich hingelegt und bin sofort eingeschlafen. Habe eine Stunde geschlafen. Jetzt fühle ich mich völlig erschlagen.

Es baut sich alles wieder auf, ich fühle mich wie ein Vulkan kurz vorm Implodieren. Gleich falle ich in mich zusammen und bin weg.

Ich hänge, irgendetwas will ich nicht wahrhaben. Ich lausche. Da höre ich es:

‚Ich will endlich dünn sein, endlich wieder schön sein, ich will mit gut fühlen, mich stark fühlen, mich wohl fühlen, keine Angst haben‘

Oh ja, ich höre dich, und jetzt verstehe ich auch, dich wollte ich ja gar nicht haben, du bist quasi verboten. Wieso eigentlich?

Das nützt doch nichts, sich nach etwas zu sehnen, was nicht ist.

Nützt nichts inwiefern?

Macht sie nur unglücklich weil es nicht so ist.

Oh. Soweit ich das hier sehe, war sie nicht unglücklich weil sie sich nach etwas sehnt, das nicht ist, sondern weil sie das Sehnen unterdrücken musste.

Sich etwas wünschen was nicht ist, darf nicht sein.

Wie kommst du denn auf so etwas?

Na ja, man soll doch annehmen was ist.

Ach so, daher weht der Wind. Das hast du ein wenig missverstanden. Was ist, ist. Und das Sehnen IST auch. Wenn das nicht sein darf, dann verleugnet sie ja auch was ist. Alles was ist, ist, und weil es ist, ist es richtig, sonst wäre es nicht. Also auch das Sehnen.

Der Druck ist raus, ich fühle mich weicher und wärmer, ein wenig traurig, weil ich nicht dünn bin, aber das darf eben auch sein. Bin wieder verbunden, was für ein Unterschied, immer wieder verblüffend. Vorher war ich kurz vor dem Nervenzusammenbruch und jetzt fühle ich mich wohlig warm und nichts aber auch gar nichts im Außen ist anders.

Durch dick und dünn

Es gibt Tage, da sehne ich mich so stark danach dünn zu sein, ich verzehre mich förmlich danach.

Heute ist so ein Tag. Ich sehe ständig Bilder von mir in dünn, wie ich leicht und schlank durch die Gegend schwebe. Ich wiege mich im Rhythmus, ich fühle mich wohl in meiner Haut, ich habe keinerlei Restriktionen bezüglich meiner Kleidung, ich kann alles anziehen, oh mein Gott, bei dem Gedanken muss ich weinen, werde ich jemals wieder Jeans anziehen können?

Ich werde jetzt die dünn/ dick Übung von Susie Orbach machen. Das letzte Mal ist lange her, mal sehen wo ich jetzt stehe.

Ich stelle mir eine Situation vor mit Menschen, eine Party z. Bsp. und lasse mich erst ganz dick werden und schaue was es mit mir macht, und dann lasse ich mich dünn werden und schaue was ich dann so mache, dann wieder dick und wieder dünn. Dieses hin und her bringt den springenden Punkt sehr schön zur Geltung. Also los.

Ich nehme gleich die Party auf der ich letztes Wochenende war. Ich betrete sie in meinem jetzigen Gewicht, ich fühle mich unwohl, ich schäme mich für mein Gewicht, ich versuche alles zu tun, damit es nicht so auffällt, ich verstecke mich, trotz meiner bunten und auffälligen Kleidung, aber auch diese soll ablenken. So bin ich eine bunte Dicke, sonst wäre ich nur noch eine Dicke. Ich bin in den bunten Klamotten gefangen, nicht bunt geht nicht, auch wenn ich dazu manchmal Lust hätte. Ich traue mich nicht mich an den Tussen-Tisch zu stellen (alle natürlich sehr dünn), ich stehe herum und versuche so zu tun als würde es mir nichts ausmachen allein herumzustehen. Alle anderen Gäste sind dünn. Mein Makel ist fühlbar.

Ich lasse mich dick werden, immer dicker und dicker. Ich bin jetzt riesig, aufgepumpt bis oben hin, ich kann mich nicht mehr rühren. Ich fühle mich sofort befreit, außerhalb jeder Konkurrenz, ich brauche nicht auf die anderen zuzugehen, ich brauche auch nicht rumstehen, ich kann mich endlich irgendwo an den Rand setzten und alles beobachten. Das ist jetzt erlaubt, ich muss nichts mehr tun. Wer mit mir sprechen will, der muss extra zu mir kommen, gleichzeitig ist es absolut erlaubt, dass ich nur sitze und gar nicht spreche. Gleichzeitig bin ich gefangen und erdrückt. Bewegen geht überhaupt nicht, weiblich sein auch nicht, ich bin eindeutig ein Neutrum, so eine Art Wesen von einer anderen Welt, das sich nicht zu den Menschen gehört. Und ich bin dabei unglaublich auffällig, uneingeschränkter Mittelpunkt.

Ich lasse mich schrumpfen, so lange bis ich dünn bin. Dünn kann ich mich dort gar nicht aufhalten, es engt mich ein, ich werde erdrückt von der Starre der anderen Gästen, es ist mir dort zu klein, ich muss raus. Ich fühle mich unwohl und nicht zugehörig, nur dass es jetzt nicht mehr äußerlich sichtbar ist. Ich sehe aus wie alle, kann aber nicht sein wie alle. Ich muss flattern, ich fange an zu glitzern und zu flattern, ich gehe aktiv in den Mittelpunkt, weil ich mich sonst langweile, ich darf als Dünne nicht entspannt in der Ecke sitzen, das geht irgendwie nicht. Aber ich fühle mich schön und sehr weiblich. Ich spüre die Blicke der anderen Frauen, ich bin eine Konkurrenz, ich spüre die Blicke der Männer, ich ekle mich von ihnen, ich mag nicht mit einem eindeutig anzüglichen Blick angesehen werden, ich kann damit nicht umgehen, ich flüchte.

Ich werde wieder dick, das Anzügliche verschwindet sofort, ich bin wieder ein Neutrum. Ich bin ein Mittelpunkt ohne mein Zutun, ich bin der Berg zu dem jeder kommen kann, ich kann selbst völlig entspannt in der Ecke sitzen, trotzdem interessieren sich die Menschen für mich. Flattern kann ich nicht mehr. Ich fühle mich erleichtert.

Ein letztes mal dünn, sofort fühle ich mich ungeschützt und nackt, ich kann nicht mehr in der Ecke sitzen, ich muss mich aktiv in den Mittelpunkt stellen, sonst werde ich erdrückt von der Starre der anderen. Wenn es aber Menschen gibt, die frei sind, dann fühle ich mich wohl, dann kann ich entspannen. Aber sobald jemand in der Starre ist oder mich irgendwie anschaut (kritisch oder anzüglich) fühle ich mich schrecklich ungeschützt.

Resumee: Die Qualität des Dicksein ist das Sein. Ich brauche nichts zu tun, ich kann einfach entspannen, die Dinge kommen schon zu mir, wenn es sein soll. Und dann ist es auch eine Schutzschicht vor den Menschen, vor solchen Verhaltensweisen mit denen ich (noch) nicht umgehen kann.

Die Qualität des Dünnseins ist Schönheit, Weiblichkeit und Flattern und Glitzern. Beweglichkeit. Leichtigkeit.

Beide Qualitäten, die des Dicksein und des Dünnseins müssen in das Leben hier und jetzt gelebt werden, bevor das Fett gehen kann.

Im Augenblick erscheint mir das unmöglich. Solange ich dick bin, bin ich nicht schön und weiblich. Bin ich aber schön und weiblich, bin ich ausgesetzt.

Kann ich schön und weiblich und glitzernd sein und trotzdem ruhig, entspannt und geschützt?

‚Ja, das geht‘, höre ich eine Stimme, ‚das kannst du inzwischen, es ist nicht mehr früher. Hier und heute kannst du in Verbindung bleiben und dich selbst nicht mehr verlassen. Du kannst alles was du brauchst, es ist alles in dir.‘

Ich starre ungläubig auf die Buchstaben die in die Tastatur strömen. Ich soll das alles können? Wieso bin ich dann dick?

‚Weil du es nicht glaubst. Du hast ein veraltetes Bild von dir. Wenn du mal reinfühlst, wirst du die Kraft und Fähigkeit spüren.‘

Ich verbinde mich innerlich, und ja, ich kann es fühlen, ich kann mich schützen, ich kann mir erlauben zu entspannen, ich kann mich schön und weiblich fühlen, ich kann glitzern, jetzt auf der Stelle, ich muss es nur tun. Die bewusste Entscheidung für die Handlung in notwendig, unabdingbar.

Es wird nicht automatisch geschehen, automatisch starten nur die alten Programme, ich einer Zeit geschaffen, als das Automatisieren leicht und nachhaltig zu schaffen war. Das ist heute nicht mehr, ein so tiefer Automatismus lässt sich nicht nebenbei oder von allein ausschalten, es braucht das Wach-Sein.

Der Fettanzug

Heute morgen sitze ich auf dem Sofa im Zimmer meiner Tochter und warte, dass sie sich anzieht. Ich schließe die Augen, weil ich müde, traurig und überfordert bin. Ich will ein wenig reinfühlen.

Da spüre ich meinen Körper zweigeteilt, nein, anders, ich spüre meinen dünnen Körper, es ist als stecke er in einem Fettanzug. Ich kann die Grenze richtig fühlen, spüre genau, wo der eigentliche Körper ist und wo der Anzug. Ich kann fühlen wie sehr mich der Fettanzug einengt, behindert und beschwert.

Der innere dünnere Körper bewegt sich autonom. Während der Fettanzug ruhig auf dem Sofa sitzt, hüpft und tanzt er herum, weil im Radio gerade gute Musik kommt. Und er voller Energie ist. Der äußere Körper, der kann das gar nicht, der ist viel zu schwer und unbeweglich.

….

Das war heute morgen. Inzwischen ist es Nachmittag, ich hatte bisher keine Zeit mehr dem nachzugehen, und wenn ich jetzt reinspüre geschieht etwas Interessantes. Dieser dünne Körper, den ich heute morgen ganz deutlich fühlen konnte ist weg. Zu einem kleinen Punkt im Oberkörper geschrumpft. Der Fettanzug ist zu meinem Körper geworden, weil der andere Körper weg ist.

Es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Heute morgen war ich noch in Kontakt mit meiner Essenz, da konnte ich beide Körper wahrnehmen, da wurde mir der Fettkörper zu viel, zu schwer, belastend.

Über den Tag habe ich den Kontakt verloren, und der Fettkörper übernimmt, füllt die Lücke, springt ein, damit kein Vakuum entsteht.

Wo bist du denn hin, dünner Körper?

Ich kann so nicht sein.

Was brauchst du um sein zu können?

Aufmerksamkeit und Zuwendung, anders geht es nicht. Du hast mich doch völlig vergessen, du vergisst mich immer, wenn etwas zu tun ist, jetzt hast du Pause und jetzt falle ich dir wieder ein, nach acht Stunden!

Ja das stimmt. Was könnten wir nur machen, damit ich dich nicht vergesse?

Du musst dich entscheiden, immer und immer wieder für mich entscheiden. Es gibt nichts, was du tun kannst und dann ändert sich alles wie durch Zauberhand. Wenn du mit mir in Kontakt bleiben willst, dann musst du dich dafür entscheiden. In jeder Situation neu, auch wenn es nicht passt, auch wenn es schmerzhaft ist. Gerade dann ist es wichtig. Gerade dann brauche ich Zuwendung und Liebe und Aufmerksamkeit. Wenn alles gut ist, ist es leicht. Aber ich brauche dich wenn es nicht gut ist, dann musst du bei mir bleiben. Und ich sage dir noch etwas: wenn du den Weg nicht mehr findest oder die Welt zu laut ist, dann hast du immer eine Brücke zu mir, das Atmen. Der Atem führt dich immer zu mir, darauf kannst du dich verlassen.

Ich bleibe beim Atem und fühlen wie der Punkt langsam größer wird, ich habe mehr Raum in der Brust, gleichzeitig werden Gefühle freigegeben, die ich den Tag über unterdrückt habe. Ich lasse alles geschehen. Ich werde weicher, der innere Körper wächst, ich kann ihn wieder fast vollständig fühlen. Von den Fußsohlen bis zum Scheitel und bis zu den Fingerspitzen. Das ist so schön wieder verbunden zu sein.

Fettkörper, was ist mir dir? Hast du eine Botschaft für mich? Wie fühlst du dich?

Ich bin die Ausgleichsbewegung der Natur. Ich muss da sein, damit du am Leben bleibst. Wenn dein Kern nicht leben darf, dann muss etwas das sein, was dich auf der Erde hält.

Du meinst sonst würde ich sterben?

Ja. Ohne Essenz, ohne Substanz würdest du sterben. Ich bin wie das Papier, dass man in den Schuh stopft, damit er sich nicht verformt solange er nicht getragen wird. Mein ganzes Dasein ist Ersatz. Und ich kann auch erst gehen, wenn dieser Ersatz nicht mehr notwendig ist.

Und der Ersatz ist nicht mehr notwendig wenn was passiert?

Das weiß ich nicht, ich bin ja nur der Ersatz. Ich weiß, dass ich automatisch gehe, wenn ich nicht mehr notwendig bin. Und ich weiß auch dass der Anfang über den Kontakt zur Essenz geht. Alles andere wird sich zeigen. Vertraue dir.

Seifenblase

Die Wahrheit über mich wird immer klarer, offener, fühlbarer.

Die Kinder machen nicht das worum ich sie bitte, Tränen, ich habe einen harmlosen Termin, Druck und Krämpfe, ich bekomme keinen Parkplatz, Druck, Krämpfe und Tränen, ich habe einen schwierigen Termin, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen. Der Körper spricht eine deutliche Sprache.

Was macht das mit mir?

Erleichterung, dass ich es endlich deutlich fühlen kann, dass ich mich nicht mehr fragen muss, was eigentlich mit mir los ist, wieso alles Mögliche zu anstrengend und kraftraubend ist. Weil ich meine ganze Kraft dafür aufbrauche diese Symptome zu unterdrücken und irgendwie weiterzumachen.

Und wenn ich jetzt reinfühle, ist da eine ganz tiefe Ruhe, ich muss mir nichts mehr vormachen, kein Bild mehr aufrechterhalten von jemandem dem alles nichts ausmacht, dem nichts etwas anhaben kann, der immer durchhält und sich zusammenreißt. Und auch nicht mehr vormachen, dass alles nicht so schlimm war.

Für mich war es schlimm, die Folgen zeugen davon. Und weil ich endlich alles fühlen kann, kann ich auch anerkennen wie schlimm alles war.

Die Stimme, die mir vorwirft, ich übertreibe gewaltig, dramatisiere dermaßen unverschämt, so schlimm sei das doch alles nicht gewesen, die ist schon noch da, aber ich glaube ihr nicht mehr, ich kann sie ganz klar als die Stimme meiner Mutter identifizieren, die damit versucht hat den Schein aufrechtzuerhalten.

Es gibt für mich verschiedene Aufgaben, wie das Positive wahrzunehmen und zu ankern, aber im Augenblick interessieren sie mich nicht.

Ich bin irgendwo angekommen wo es ganz still ist. Unendlich still. Seit ich heute morgen aufgewacht bin befinde ich mich dort. Still und schön und zart. Ich bin in einer kleinen Seifenblase inmitten des tobenden Sturms.

Ich kann die gewaltigen Luftmassen und fliegenden Gegenstände um mich herum sehen, aber sie erreichen mich nicht. Ich bin geschützt. Bei mir hier in der Seifenblase ist alles ruhig.

Mein Körper entspannt sich mehr und mehr, je länger ich hier bin. Ich kann alles fühlen, ich bin nicht abgeschnitten, aber all das Fühlen nimmt mir nicht die Ruhe.

Ich glaube das ist innerer Frieden. Mitten im Sturm. So fühlt sich das an, er existiert tatsächlich. Ich darf das jetzt erleben, so ganz unvermittelt, ich hatte mich ursprünglich zum Weinen hingesetzt.

Mir fällt die Karte ein, die ich gestern vor dem Schlafengehen noch gezogen habe: Genieße jede Erfahrung, das ist deine einzige Aufgabe, für den Rest ist gesorgt.

Genau so. Ich genieße meine Seifenblase und fühle, das sich alles von allein entwickelt. Ich muss nichts tun.

Familientrauer

Diffuses Unwohlsein. Schon damit aufgewacht.

Wie fühle ich das? Spannung im Magen, im Brustbereich, Kiefer und Stirn, nicht sehr stark aber ausreichend um mich zu beunruhigen. Oder auch Ausdruck einer Beunruhigung. Ich weiß es noch nicht.

Ich fühle weiter.

Kann ich denn nicht einfach nur leben? An den meisten Tagen brauche ich erst eine gründliche innere Pflege, bevor ich irgendetwas sinnvolles machen kann.

Die Alternative wäre darüber hinweggehen, aber das führt ins Nirgendwo, ins Essen oder Depression oder sonstwas noch Schlimmeres.

Es ist heute schwer. Außer der Spannung will sich mir nichts zeigen. Es kommt eine Welle spontanen Mitgefühls, ich werde innerlich weicher. Ich bleibe noch etwas dabei, vielleicht zeigt sich noch etwas.

Ich folge dem Körper, lasse den Druck und die Spannung machen was sie wollen, ich tanze innerlich mit und auch ein wenig äußerlich, es kommt Trauer, würgen, dann ein Bild. Ich sehe ein kleines Mädchen, vielleicht drei oder vier oder fünf, die hält krampfhaft fest an einer Liane, über einem Abgrund schwebend, das ist für sie Alltag.

‚Ich habe Angst vor dem Leben, ich habe so Angst vor dem Leben.‘

Ich schaue von Boden zu ihr hoch, sie hängt gar nicht so hoch, ich könnte sie problemlos da runter holen, das scheint sie nicht zu sehen.

Sie sieht den Boden nicht, für sie ist alles neblig, sei denkt sie schwebt irgendwo ganz weit oben.

Ich hingegen bin ganz nah, wenn ich mein Arme ausstrecke, könnte ich sie greifen. Aber das will ich gar nicht, ich traue mich nicht näher, ich habe nichts zu sagen was ihr die Angst vor dem Leben nehmen könnte. Hilfe!

Es kommt mein persönlicher Jesus, jung, schmächtig, in Jeans und einem dunkelblauen T-Shirt, mit halblangen braunen Haaren. Den kenne ich gut, er begleitet mich schon sehr lange, lebt auf einem Hügel in einem fernen Land, inmitten von ein paar Ruinen, umgeben von einer wunderschönen, grün-blau-gold schimmernden Weite. Wenn er kommt, bringt er seine Umgebung immer mit. So auch jetzt.

Links der Dschungel, die Liane, das Mädchen, der Nebel, rechts der Runinenhügel mit Panorama und dem persönlichen Jesus. Und ich mittendrin.

Jesus kommt und nimmt mich in den Arm: ‚Es ist alles in Ordnung‘, sagt er, ‚es ist alles in Ordnung‘. Und das ist ungemein tröstlich, immer wieder. Er sagt das nämlich jedes Mal wenn er kommt. ‚Auch wenn du nicht verstehst welche Ordnung alles hat, ist doch alles in Ordnung. Du kannst der Ordnung vertrauen.‘

Ich setze mich erschöpft auf den Boden. Das kleine Mädchen steigt von der Liane ab und setzt sich auf meinen Schoß.

Der Dschungel verschwindet, der Ruinenhügel samt Jesus auch, es bleibt eine weiße neblige Leere, brr, kalt und leer ist es, wir trösten und wärmen und gegenseitig. Das Mädchen setzt sich in meinen Bauch, da ist es warm und geschützt. Ich kann fühlen, wie sie entspannt.

Ich rutsche durch den weißen kalten Nebel in ein Loch, ich gleite immer tiefer, ich kann mich kaum noch festhalten, ich lasse los, ich falle in eine andere Welt, es ist dunkel, aber da ist auch Licht, Sterne und anderes buntes Licht, ich falle und falle und lande auf einem großen, weichen, weißen Trampolin, ich bleibe einfach auf dem Bauch liegen und schwinge ein wenig nach, irgendetwas warmes weiches deckt mich zu, ich rolle mich ein und schlafe weg, es gibt keine Lösung, ich spüre die Hoffnungslosigkeit und die Überforderung durch das Leben vollkommen, ich bin Hoffnungslosigkeit und Überforderung. Ich löse mich auf, ich werde schleimig, ich Schleim rutsche durch das Trampolinnetz, ich lande auf einem grauen Asphaltboden mitten in einer Stadt, ich wälze mich voller Freude auf diesem harten Boden, so wie meine Hunde sich in Rehkot wälzen. Ah, ah, ich schlängele mich da hinein, der harte Asphaltboden ist so angenehm, und jetzt drehe ich mich auf den Bauch und wälze mich weiter, ah, das ist so schön, ich genieße es richtig, ich gehe mit, innerlich und äußerlich, plötzlich hört es auf, ich sitze wieder an meinem Schreibtisch und fühle eine tiefe wortlose Trauer.

‚Ich will mich nicht so fühlen, diese Traurigkeit ist bedrohlich.‘

Warum eigentlich?

‚Ich weiß nicht.‘

Kannst du nicht in die Traurigkeit hineinschmelzen, wie der Schleim in den Asphalt?

‚Doch, stimmt, ich darf traurig sein, auch wenn ich nicht weiß wieso.‘

Ich tauche ein in das Gefühl, ich werde zur Traurigkeit, der ganze Körper wird schwer und zieht nach unten.

Auf einmal erscheinen meine Großeltern, meine Urgroßeltern und meine Eltern. Sie stehe stumm aufgereiht vor mir.

‚Ist das eure Traurigkeit, die auf mir lastet?‘

Sie nicken stumm im Chor.

‚Dann gebe ich euch hiermit alle Traurigkeit die zu euch gehört zurück.‘

Und dann überreiche ich jedem ein Tuch als Symbol für sein Traurigkeit. Je weiter ich in der Reihe fortschreite, desto mehr muss ich weinen, ich spüre diese unendlich große Familientrauer, die mich auch mit ihnen verbindet. Ja ich spüre sehr viel Mitgefühl für alle, für ihre schweren Schicksale und all ihr Leid. Ich kann den Schmerz eines jeden einzelnen nachfühlen und weine, und weine und weine.

Ich verbeuge mich spontan vor jedem Einzelnen und sage: ‚Es tut mir so leid für dich. Bitte gebe mich frei.‘ Und jeder streift daraufhin seine traurige erdrückende Hülle ab, wird zu der schönsten Ausgabe seiner selbst, Liebe strahlt aus ihren Augen und sie sagen: ‚Ich gebe dich frei.‘

Während all der Zeit weine ich alle Tränen aus mir raus, gleichzeitig bin ich fasziniert, wie schön jeder wird, wenn er seine Hülle abstreift.

In mir ist Frieden eingekehrt, die Trauer ist auch da, aber ich bin damit in Frieden. Und da ist ganz viel Mitgefühl für all die Schicksale und für mich.

Und jetzt merke ich, dass ich total hungrig bin.