Hula-Frau

Ich habe die Augen zugemacht weil ich ein wenig tiefer nach innen gehe wollte. Keine Ahnung wieso, aber ich sah ein warmes Licht sich von oben über mich ergießen. Kaum trifft das Licht auf meinen Körper, schon schält sich eine sehr schlanke Gestalt mich langen Haaren aus meinem Körper, stellt sich in den Lichtstrahl und saugt es begierig auf.

Ich staune, wer ist das? Von hinten könnte das ich sein, mit 16 oder so. Ich gehe näher hin. Sie bemerkt mich und dreht sich um. Oh mein Gott, dass bin ich, aber nicht mit 16 sondern jetzt oder in der Zukunft, ich sehe die Altersspuren in ihrem Gesicht, Falten und leicht verwelkte Haut, auch die Hände und der Bauch, alles ist schon älter, so wie ich in ein paar Jahren oder wenn ich dünn wäre.

Ich bin total berührt von diesem Anblick, mir kommen die Tränen, wenn ich sie ansehe spüre ich meine Energie in ihrer reinsten Form. Sie ist so präsent und ruhig und gleichzeitig strahlt sie ein unglaubliche Kraft aus.

Aber sie ist so wahnsinnig dünn, so wie ich mit 16, 17, aber eben dem Altern angepasst, nicht mehr straff und glatt. Sei ist so hulamäßig angezogen, mit einem langen Hüftrock aus Stofffetzen und einem BH. Sie muss offensichtlich die faltige Haut nicht verstecken. Aber genau das macht es so unglaublich schön. Ich muss dabei die ganze Zeit weinen, ich weiß überhaupt nicht wieso, aber vielleicht muss ich das auch gar nicht wissen.

Du bist so sehr dünn, gehörst du so?

Ja, sonst sähe ich doch anders aus.

Und ich? Wieso bin ich dann so dick?

Weil du noch so viel Gepäck hast, das dich belastet, das habe ich nicht.

Kann ich denn jemals so sein wie du?

Witzig, du bist doch schon ich, ich bin du. Das Gepäck, die Altlasten verhüllen es nur, aber ich bin sowieso immer da, du musst mich nur sehen. Und mich lassen.

Und das Gewicht?

Das Gewicht, das Gewicht, das belastet dich sehr oder? Mich auch, das kannst du mir glauben. Ist jetzt nicht mein Wunschszenario mich hinter all dem Fett zu verstecken. Je mehr ich sein darf, desto mehr wird das Fett gehen. Ich kann dir aber nicht sagen wie lange das dauert und ob es überhaupt jemals passiert.

Heißt das, du durftest bisher überhaupt nicht sein?

Sehr wenig, in letzter Zeit etwas mehr, das hat ja gereicht, dass nicht noch mehr Gewicht draufgepackt wird.

Aber ich verstehe immer noch nicht was du mit ’sein lassen‘ meinst. Was brauchst du um zu sein?

Verstehen, genau, der Kopf gibt keine Ruhe, oder? Will mal wieder einen Masterplan. Aber es gibt keinen, gab nie einen und wird nie einen geben. Aber ich kann dir sagen was ich brauche: Aufmerksamkeit, bei mir sein. Das ist meine Nahrung. Aber das weißt du doch alles schon lange. Wissen reicht nun mal nicht. Erfahre es, bleibt bei mir, dann werden wir uns gemeinsam überraschen lassen, denn ich weiß auch nicht was dann passiert. Nur dass es gut ist, das weiß ich.

Jetzt habe ich Essdruck. Was will ich nicht fühlen?

Die Enttäuschung darüber dass ich wieder kein Wundermittel serviert bekomme, so nach dem Motto, drei Mal nach links verneigen und 20 Minuten atmen oder so, und in drei Monaten wiege ich garantiert 20 Kilo weniger.

‚Du hast doch ein Wundermittel‘, sagt die Hula-Frau, ‚mich. Nur weil dein Verstand einen Plan will, heißt noch lange nicht, dass ein Plan hilfreich ist. Ich habe dir doch gesagt was du wissen musst.‘

Ok, verstanden. Wenn ich reinfühle spüre ich die Hula-Frau in mir. Ich experimentiere ein wenig und finde heraus, wenn ich mit der Aufmerksamkeit bei mir bin, dann wächst sie und nimmt Raum ein, entfaltet sich, wird so groß wie ich und ihre Energie ist ganz stark spürbar, wenn ich mit der Aufmerksamkeit weg bin, rollt sie sich ganz klein zusammen. Das bleibt spannend.