In den letzten 5 Jahren war mein Gewicht stabil, hartnäckig, egal was ich angestellt habe. Und ich habe Einiges angestellt, kampflos wollte ich mich nicht ergeben.
Eines muss ich vorwegnehmen: ich war nicht mehr esssüchtig bei all meinen kleinen Experimenten. Nichts davon hat als Kompensation zu einem Essanfall geführt, Essanfall war für mich keine Option mehr.
Ich habe eine Weile Kalorien gezählt, allerdings nur zu Forschungszwecken, also um herauszufinden, wieviel esse ich eigentlich, und wann nehme ich ab und wann zu. Ergebnis: Bei 1500 bleibe ich gleich, bei 1200 nehme ich ab, über 1500 nehme ich zu. Schock. Aber es deckte sich mit meinem Empfinden, dass ich in meinen 20gern weit mehr gegessen habe als jetzt, in Diätzeiten! Es deckt sich auch mit dem Ergebnis der Studien, die ich für meine Diplomarbeit durchgelesen habe, dass das Abnehmen und auch das ständige Auf- und wieder Zunehmen dazu führt, dass der Gesamtumsatz sinkt, der Körper wird effizienter. Ein hypothetisches Beispiel zur Verdeutlichung: wenn ich 70 Kilo wiege und das mühelos halte und dabei ca. 2000 Kalorien pro Tag esse, dann irgendwann anfange mich zu dick zu fühlen und reduziere, ich esse nur noch 1000 Kalorien pro Tag, dann nehme ich ab, bis ich mal wieder mehr esse weil der Rebound Effekt einsetzt, ich es nicht mehr durchhalten kann usw., dann nehme ich von 1800 schon zu und erreiche schnell 75, bei der nächsten Runde dann schon 80 mit 1700 und so weiter. Will ich also meine 70 Kilo von früher halten, kann ich jetzt dauerhaft nur noch 1500 Kalorien essen, sonst nehme ich zu. Soweit die Studien. Disclaimer ist allerdings: Dieser Mechanismus greift nur, wenn ich mehr als 10-15 Kilo zunehme und das hohe Gewicht eine Weile halte, insofern ist mein Beispiel nicht ganz richtig. Für meinen Fall, ich habe ja immer zwischen 30-50 Kilo zu und wieder abgenommen, passt es genau.
Vor ca. 3 Jahren habe ich extrem Hungerskala Befolgen gemacht: nur essen bei 0, also wenn der Magen ganz leer ist, und nur bis er gerade keinen Hunger mehr hat. Da habe ich auch sofort abgenommen, das war aber genau so wenig durchzuhalten wie jede andere Diät, es war einfach nur Härte, so wie 1200 Kalorien auch. So etwas kommt für mich nicht mehr in Frage.
Ich bewege mich viel, habe mit Laufen angefangen in den letzten Jahren, ich tanze viel, mache Yoga, etwas Turnen ab und zu, das alles habe ich mir in den letzten 5 Jahren Stück für Stück zurückerobert. Am Gewicht hat es nichts geändert. Das wusste ich auch schon lange, in Ballettzeiten habe ich 6 Stunden am Tag trainiert und musste trotzdem wenig essen um so dünn zu bleiben.
Erst kürzlich habe ich meinen Blutzucker gemessen, zwei Wochen lang, weil es die Theorie gibt, dass der Blutzucker bei manchen Lebensmitteln individuell hoch ansteigt und damit eine Abnahme blockiert. Mein Mann hat diesen Test auch gemacht, und während bei ihm herauskam, dass es durchaus Sachen gibt, die er regelmäßig isst und die ihm blutzuckertechnisch nicht bekommen, war das bei mir nicht der Fall. Ich ernähre mich absolut perfekt aus Blutzuckersicht. Das hat mich gefreut, weil ich mich seit über 8 Jahren intuitiv ernähre, ohne jeglichen Vorgaben und Verbote und es ein kleiner Beweis ist, dass der Körper weiß, was er tut. Es zeigt aber auch, der Blutzucker hat mit meinem Gewicht nichts zu tun.
Nach und nach fing es an bei mir durchzusickern, dass das Gewicht möglicherweise nicht mehr zu ändern ist, ja das ist wie eine Kriegsverletzung, sie bleibt ein Leben lang.
Als ich vor ca. 2 Jahren Olivias Buch in die Hände bekam, da öffnete sich mein Blick für einen anderen Aspekt, den Aspekt der radikalen Fürsorge für den Körper, ohne dass ein Gewichtsziel dabei eine Rolle spielt. Das war für mich bis dahin absolut unmöglich, meine Esssuchttherapie, das intuitive Essen, die Traumatherapie und die unzähligen Stunden der inneren Arbeit, die ich bis dahin geleistet hatte hatten nur ein Ziel, endlich dünn werden! Und nun das, die Möglichkeit das Gewicht nicht beeinflussen zu wollen, das geht doch nicht! Widerstand war meine erste Reaktion, dann Tränen. Ich habe damals lange geweint, als mir bewusst geworden ist, wie sehr alles immer noch unter dem Gewichtsdiktat läuft, zum größten Teil unbewusst.
Seitdem ist das meine neue Brille, durch die ich schaue, nicht mehr ‚so soll ich endlich werden und wie komme ich dahin?‘, sondern ‚was brauche ich, damit ich mich wohl fühle, damit es mir so richtig gut geht?‘.
Diese Reise hat erst begonnen, und sie wird wahrscheinlich niemals enden, weil es immer tiefer geht und ich immer mehr Dinge, die früher nicht zur Diskussion standen in Frage stelle. Dabei wird mir bewusst, wie viel ich noch aus automatischer Steuerung mache. In winzigen Babyschrittchen überprüfe ich mein Leben ob es meinem Wohlsein dient oder nicht.
Ein Beispiel: ich laufe regelmäßig durch den Wald. Das war schon ein großer Schritt mir zu erlauben zu laufen, mir zu erlauben langsam und ohne sportliche Ziele zu laufen. Doch irgendwann bemerkte ich, dass ich anfing Leute im Wald zu beneiden, die nur mit ihrem Hund spazieren gingen, während ich ja laufen ‚musste‘. Dieses Gefühl habe ich erforscht und kam darauf, dass ‚nur‘ gehen nicht erlaubt ist, weil Zeitverschwendung, wenn ich schon in dieser Zeit nichts Produktives tue, dann wenigstens die bessere Version, laufen ist besser als gehen, ist doch klar!
Ist das wirklich so?, fragte ich mich. Das führte mich zur zweiten Erkenntnis, dass es nämlich nicht unbedingt so ist. Denn stressiger Sport im High Impact Level erhöht sie Ausschüttung von Stresshormonen, und davon habe ich eh genug.
Mein Mann hat das Gerät besorgt mit dem man die Aktivierung des autonomen Nervensystems testen kann, also Sympathikus und Parasympathikus. Der erste ist für Aktivierung der Muskelversorgung, der Herzrate, Steigerung des Blutdrucks, flache Atmung, also Mobilisierung für Flight or Fight zuständig, Verdauung und Gehirnregionen die langfristig planen können, sind dann unterversorgt, ist logisch, es geht darum sofort wegzurennen oder sich zu wehren und nicht darüber nachzudenken was das alles für weitreichende Konsequenzen haben könnte, oder dem Essen Zeit lassen verdaut zu werden, in der Zeit hat uns der Tiger schon aufgefressen. Der Gegenspieler, (vereinfacht dargestellt, denn die ganze Sache ist noch komplexer, was aber in diesem Zusammenhang nicht so wichtig ist), der Parasympathikus sorgt dafür, dass alle Systeme runterkommen, die Atmung sich vertieft, die Verdauung gut funktioniert, die Stresshormone sinken, das längerfristig planende Gehirn wieder besser versorgt wird.
Im ausgeglichenen Fall, wenn wir gut reguliert sind, ist das wie eine Wellenbewegung, etwas Sympathikus, dann wieder runterkommen durch den Parasympathikus, dann wieder etwas Sympathikus und so weiter. Mein Mann ist auch genau so reguliert, ausgeglichen und von keinem zu viel, in den Zahlen ausgedrückt, die das Gerät ausspuckt, ist das 56 zu 47.
Bei mir sieht es ganz anders aus. Parasympathikus 16, Sympathikus 295. Das sagt doch alles. Da sah ich in bunten Diagrammen, was ich schon lange wusste, ich bin total überaktiviert, in Regulationsstarre. Damit fügte ich meiner neuen Brille etwas hinzu: Was hilft mir aus der Überaktivierung, was kann die Regulation wieder anwerfen. Und da fand ich EFT. Natürlich kannte ich das schon lange, aber ich konnte nicht richtig was damit anfangen, denn mein Fokus war: Problem lösen. Es soll mir nicht mehr schlecht gehen, ich soll keine Angst mehr haben oder was auch immer gerade war. Aber nun, nachdem ich Studien fand, die bewiesen, dass EFT wirksam den Stresslevel senkt, probierte ich es erneut und an meine Bedürfnisse angepasst und siehe da, ich konnte spüren und messen, dass die Überaktivierung des Nervensystems sinkt.
Und das ist richtig viel: inzwischen bin ich mehr und mehr überzeugt, dass die meisten Probleme egal welcher Art durch Regulationsstarre verursacht werden, das Testen vieler Menschen, das mein Mann inzwischen durchgeführt hat, ergibt ebenfalls dieses Bild.
Weil wir in einer dauerhaften Sympathikus Aktivierung nicht nur von Stresshormonen überflutet werden, das Herz schneller pumpt, die Atmung flach ist und die Verdauung nicht funktioniert, sondern auch unsere Fähigkeit die planenden und langfristigen Teile unseres Gehirns zu benutzen sinkt.
Aufs Essen bezogen heißt das: wenn ich in so einem Zustand esse, dann bekommt mir das Essen nicht, egal was ich esse, ich esse mehr, selbst wenn ich nicht zu viel esse, ich essen schneller und habe weniger Genuss, ich esse vielleicht sogar das Falsche, weil ich in dem Moment keinen Zugang habe zu meinem Körperwissen. Ergebnis: ich bin weit, weit entfernt von meinem Wohlgefühl auf jeder Ebene.
Wenn ich mir vorher die Zeit nehme den Stresslevel etwas zu senken, zum Beispiel mit EFT, dann kann ich das Essen besser wahrnehmen und verdauen, dann schmecke ich auch was ich esse, dann merke ich vielleicht dass ich das gar nicht will und hole mit etwas anderes, dann bin ich nicht innerlich getrieben und höre auf wenn der Geschmack sich verändert. Es ist ein völlig anderes Esserlebnis.
Und das gilt für alle Lebensbereiche, wenn ich mir erst die Zeit nehme den Stresslevel zu senken, dann erlebe ich das was ich tue vollkommen anders.
Noch ein Wort zum Stresslevel senken: sowohl beim EFT als auch bei den anderen Methoden die mir helfen geht es in erster Linie darum sich selbst und seine Erfahrung zu bejahen und sich mit seinem Körper rückzuverbinden. ‚Ja zu mir‘, das ist das Heilsamste was ich kenne und auch das, was den Stresslevel sofort reduziert. Genau wie jede Form von nein ihn sofort anhebt. Wenn wir uns verurteilen, kritisieren, schämen, das steigert den Stress im System. Ein ‚Ja‘ auch dazu, oder gerade dazu, dass ich mich gerade schäme, senkt den Stress im System. Ich kann immer ja sagen, auch dazu, dass ich zu nichts ja sagen kann.
Je mehr ich weitergehe, desto mehr lerne ich, dass wir viel weniger unter Kontrolle haben als wir denken, das offensichtlichste Beispiel ist das Gewicht. Und dass es nur um eines geht: uns selbst zu bejahen und die Selbstfürsorge zur obersten Priorität zu machen.
Je mehr ich weitergehe, desto unwichtiger wird mein Gewicht, auch wenn es Rückschläge gibt, wie neulich, als ich mir meinen Kindern im Trampolinpark war und nach 15 Minuten springen sowohl eine schwere Knieprellung als auch eine Daumenkapselprellung zu verzeichnen hatte, weil das Hinfallen mit meinem Gewicht einfach andere Konsequenzen hat. Das habe ich betrauert, denn ja, es ist ein Verlust von Fähigkeiten, von Möglichkeiten, aber wir alle werden damit konfrontiert im Prozess des Älterwerdens. So ist das Leben für uns alle.
Ich habe gerade 4 Tage Fortbildung hinter mir, umgeben wie immer von unzähligen Dünnen und ich stelle gerade fest, dass ich nicht einen Moment an mein Gewicht gedacht habe. Wenn das kein Fortschritt ist!
Ich merke auch, dass mein Gewicht eigentlich für mein Gefühl von Minderwertigkeit steht, dass tief in mir vergraben ist, immer deutlicher fühle ich, dass ich mich minderwertig fühle, fehlerhaft, nicht so gut wie andere, und das Gewicht muss als Grund herhalten, wenn es aber gerade keine Rolle spielt, wird es von etwas anderem abgelöst. Solange ich mich im Inneren minderwertig fühle, wird es auch im Außen immer einen Grund geben.
Es geht eben auch darum, immer mehr zu spüren, dass ich Wert habe, dass ich selbstverständlich mich wohl fühlen darf, es mir gut gehen darf, ich vom Leben alles bekommen darf was ich brauche, einfach weil ich lebe und aus keinem anderen Grund.
Und zum Schluss: ich wünsche mir immer wieder dünn zu sein, die Sehnsucht ist da, und die erlaube ich mir, sie darf da sein, ohne dass das aber zu irgendwelchen Maßnahmen führt oder zu Verurteilung und Schmerz. Es ist mehr wie eine Vision, die ich mir erlaube zu genießen, die ich auf allen Ebenen fühle, wenn sie auftaucht, selbst wenn es keine Realität wird.
Denn alles, was mir ein Wohlgefühl verschafft ist gut.
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