Ich wollte heute eine Übung machen, die ich gefunden habe: mir vorstellen, ich sei ganz neu auf dieser Welt und würde alles mit ganz frischen Augen anschauen. Was gefällt mir, was gefällt mir nicht, bei was fühle ich mich wohl, bei was nicht.
Klang irgendwie gut und ich hoffte damit meinem momentanen Thema ein wenig auf die Spur zu kommen. Wer bin ich, was will ich, was macht mir Freude.
Ich habe dann einen Haufen Dinge gefunden, die mir nicht gefallen, keine, die mir gefallen, es wurde immer enger, Druck kam auf. Druck ist für mich ein untrügliches Zeichen, dass etwas nicht stimmt, dass ich nicht aus der Liebe heraus handle.
Ich wollte mit der Übung aufhören, konnte es aber nicht mehr, ich war richtig im Sog drin, im Sog des Was-mir-alles-nicht-passt. Es endete in einem Streit mit meinem Mann, in dem er mir genau das vorwarf, dass ich nur sehe was nicht passt, aber überhaupt nicht sagen kann was ich denn stattdessen haben will.
Ja, das stimmt, der Spiegel, den er mir vorhält sagt die Wahrheit, ich kann es nicht sagen. Immer noch nicht. Und der Druck, den diese Übung bei mir gemacht hat, weist auch ganz deutlich darauf, dass es für mich noch nicht an der Zeit ist.
Ich will alles ganz schnell, am liebsten sofort. Aber ich habe doch gerade erst gelernt mir selbst beizustehen, habe doch gerade erst herausgefunden, dass nicht allein zu sein, mich liebevoll zu begleiten im Augenblick das Einzige ist, das mich gut fühlen lässt, unabhängig von anderen Umständen oder Aktivitäten.
Ich bin wahrscheinlich was diese Frage angeht noch in der Säuglingsphase. Kleinen Babys ist auch alles egal was sie machen oder wie es um sie herum aussieht, völlig unerheblich, solange sich jemand konstant, zuverlässig und passend um sie kümmert.
Ich bin aus dieser Phase noch nicht raus. Wenn ich mich verbinde, kann ich fühlen, dass ich noch Zeit brauche, dass ich noch viel nachtanken muss an existentiellen Dingen bevor ich ans Differenzieren herangehen kann.
Für mich geht es momentan vorrangig darum mir selbst ein stabiler Begleiter zu werden, damit der Teil, der es in der Kindheit nicht hatte, das Vertrauen ins Leben entwickeln kann. Damit ich die neue Erfahrung machen kann, dass ich immer gehalten werde, immer liebevoll angeschaut werde, nicht verurteilt, nicht kritisiert, nicht bestraft werde, dass das Leben mich liebt.
Irgendwann, wenn ich das ausreichend bekommen habe, werde ich von ganz allein meine Augen von der Mutter weg und Richtung Welt hin bewegen. Und wie man diesen Zeitpunkt bei einem Baby auch nicht erzwingen kann, so habe auch ich zu warten bis es soweit ist.
Ich kann diese Übung nun getrost sein lassen, der Essdruck, den ich inzwischen entwickelt hatte ist auch weg, es wird wieder ruhiger in mir, ich bin raus aus dem Sog.
Und wieder einmal möchte ich für mich festhalten, dass es ein Zurück gibt, zurück aus der Entfremdung, zurück aus der Enge, zurück aus dem Strudel, zurück aus dem Sumpf. Das Vertrauen darin ist schon gewachsen, denn während ich heute mitten in der Verzweiflung war, konnte ich auch ganz deutlich die Gewissheit spüren, dass das nicht der Endpunkt ist, sondern dass ich es bald auch wieder anders werde sehen können.