Schwarzer Stachelkobold

Genau jetzt ist die Gelegenheit zu schauen was los ist wenn ich so gelangweilt und träge bin.

Kein Drama in Sicht, also Langeweile. Ich fühle.

Sofort fällt mir die Anspannung auf. Magen, Oberkörper, Kiefer, alles unter Spannung. Natürlich, die Anspannung ist ja immer da.

Denn eigentlich könnte ich total genießen, was ich mir immer so sehnlichst wünsche, kein Streß, kein Drama, kaum zu tun, wenn die Spülmaschine nicht zählt, ne, die zählt nicht, alle Kinder spielen, es sind Ferien, ich muss niemanden mit Hausaufgaben nerven, ein Idealzustand.

Und es passiert das, was immer passiert wenn der Idealzustand eintrifft, ich weiß nichts mit mir anzufangen.

Die Anspannung verhindert es, sie ist ja da, und da geht abhängen einfach nicht, also müsste ich etwas tun, finde aber nichts, habe auch zu nichts Lust, spüre auch, dass jetzt erholen dran ist, kann es aber nicht. Noch nie vorher habe ich so klar gefühlt, dass ich nicht entspannen kann, dass ich nicht einfach sein kann. Geht nicht.

Was ist, wenn ich es ganz bewusst sage: ‚Wir machen heute so richtig nichts mehr, nur noch Abendessen kochen.‘

Da zuckt es sofort, der Widerstand springt auf: ‚Das geht nicht.‘

Was soll das heißen?

‚Ich kann nicht nichts tun, ich kann nicht entspannen, ich kann nicht einfach rumhängen, das geht einfach nicht.‘

Ich sehe ein kleines schwarzes Wesen mit stacheligen abstehenden Haaren, ach jetzt weiß ich was es ist, es ist ein Kobold, das stapft ganz aufgeregt hin und her und gestikuliert und regt sich auf, irgendwie niedlich.

Warum nicht?

‚Ich weiß nicht wie das geht.‘

Würdest du denn gern entspannen?

‚Oh, ja, und wie, das wäre so schön, das ist mein größter Wunsch‘

Und weißt du denn, was dich daran hindert?

‚Es ist irgendwie gefährlich‘

Genauer? Was befürchtest du?

‚Ich weiß es nicht, es ist mir unmöglich meine Aufmerksamkeit abzuziehen und ein Stopp zu setzen. Stopp, jetzt ist Pause, das geht einfach nicht.‘

Kannst du es vielleicht einfach probieren, ich bin ja bei dir, damit wir vielleicht herausfinden was dann passiert?

‚Ok.‘

Der schwarze Stachelkobold rollt ich katzenartig zusammen, ich fühle wie er mit sich kämpft auch die Augen zuzumachen, sie gehen aber immer wieder auf, der ganze Körper bleibt unter Spannung.

Spontan lege ich eine Hand auf meinen Magen, da sitzt er nämlich der schwarze Stachelkobold, und er wird ein klein wenig weicher.

Ah, das scheint der richtige Weg zu sein. Je länger die Hand dort verweilt, desto weicher wird der kleine Kobold, in winzigen Schritten, lässt die Muskelspannung nach. Ich sehe meine Wasserfrau und meine Feuerfrau, oh und die Frau Angst ist auch da, sie alle genießen diese Berührung.

Ich fühle die Erleichterung des schwarzen Stachelkobolds, weil er nicht mehr allein ist, sprechen will er nicht mehr mit mir, dafür ist er gerade zu entspannt.

Und tatsächlich, mein ganzer Körper wird langsam weicher, millimeterweise weicher. Ich spüre eine angenehme Schwere, Ruhe, Frieden und nicht das allerkleinste Verlangen nach irgendetwas.

Wenn ich an meinen kleinen Kobold denke und ihn gedanklich streichle, dann kann ich auch beide Hände benutzen ohne dass die Anspannung Land gewinnt.

Das probiere ich jetzt beim Kochen aus.

Ich bin unschuldig

Die Frau Angst ist wieder sehr mächtig.

Zittern, Magenkrämpfe, weiche Knie, so bin ich aufgewacht. Es ist als ob der Körper erst schlafen muss um die Energie für all die Angstsymptome zu sammeln.

Also, Frau Angst, was soll ich tun?

Kämpfe nicht. Fühle nur. Dann wir dir etwas gezeigt.

Hm. Was?

Das siehst du dann.

Und wie lange?

So lange es dauert.

Ha, ha.

Ok, also ich fühle.Ich tauche ein in den Strudel von Übelkeit und Schwindel und Schwinden. Ich würge und zucke. Zwischendrin merke ich wie der Widerstand automatisch versucht alles wegzudrücken. Es braucht eine bewusste Entscheidung es zuzulassen.

Ich halte das nicht aus, mich ständig so zu fühlen, ich drifte weg, es ist anstrengend. Dabei zu bleiben ist anstrengend. Kann ich nichts von mir wollen?

Wie wäre es wenn ich nichts von mir wollte?

Dann fange ich an mich aufzulösen, werde von Angst und Widerstand in Stücke gerissen. Jeder krallt sich ein Teil. Tränen kommen, sinnlose Situation. Nicht zu ändern.

Ich lege mir eine Hand auf die Brust und schenke mir selbst Mitgefühl, weil es einfach so verdammt Scheiße ist. Ich bin verdammt zu einem Leben in Angst.

Das Mitgefühl ist wie warmes Öl, das ich über meine Haut gieße, es umspült mich, es umschließt mich, es wärmt mich, es tröstet mich. Es gibt keinen Ausweg, aber es gibt Trost.

Und ich merke, Mitgefühl stellt sich erst ein, wenn ich die Hoffnung auf Beeinflussung der Situation völlig aufgegeben habe. Sonst steuert der Antreiber, der will, dass ich mich noch mehr anstrenge um das Problem zu lösen und der mir vorwirft mir nicht genug Mühe zu geben. Der gibt mir die Schuld, ja, der gibt mir die Schuld.

Aber ich habe keine Schuld. Aufgrund unzähliger Umstände, die ich alle nicht beeinflussen konnte geht es mir so, und es wird weiter so sein, dass ich mit unzähligen Umständen konfrontiert werde, die ich nicht beeinflussen kann. Und auch was es in Zukunft mit mir machen wird, ist nicht meine Schuld. Ob ich dann so, oder so oder so reagiere, das weiß ich nicht, und wie auch immer es sein wird, ich habe keinen Einfluss.

Dass ich mich dieser Tatsache nicht vertrauensvoll hingeben kann, das ist das Ergebnis meiner Geschichte auf dieser Welt, und auch das ist ein Umstand, den ich nicht beeinflussen konnte.

Wir Menschen sind dem Leben ausgeliefert, nackt und ungeschützt, egal was wir tun. Und wenn wir dem Leben nicht vertrauen, dann geht es uns eben so. Und dass wir dem Leben nicht vertrauen, das ist auch nicht unsere Schuld.

Aus dieser Perspektive ist es ganz leicht mir mit Mitgefühl zu begegnen, und ich merke, ich brauche dieses ganze Mitgefühl auch dringend, das hat es für mich nie gegeben. Nie.

Auch wenn ich schon hin und wieder auch getröstet worden bin, so doch nie ohne einen Spruch wie: ‚Das hast du jetzt davon.‘, ‚Das habe ich dir gleich gesagt.‘, ‚Warum musstest du auch…‘, ‚Stell dich nicht so an.‘ ‚Selber schuld.‘

Ja, tief eingegraben glaube ich, dass ich an meiner ganzen Misere selbst schuld bin, dass mir das alles wider besseren Wissens selbst eingebrockt habe und dafür sicher kein Mitgefühl verdiene sondern noch einen obendrauf, damit mir das ja nicht nochmal passiert und ich endlich daraus lerne.

Was für eine grausame Welt in mir drin.

Aber jetzt lege ich mir immer wieder die Hand auf die Brust und sage innerlich: ‚Ich bin unschuldig. Dass es mir so geht, geschieht ohne mein Zutun, ich kann es nicht beeinflussen, ich verdiene all mein Mitgefühl für meine schwere Situation.‘

Und, was soll ich sagen, das System beruhigt sich ein wenig. Und das ist viel, wo ich vorher schon kurz vom Brechen war und auf jeden Fall nicht in der Lage war aufrecht zu stehen.