Die Spaltung aufheben

Ich bin heute nicht in Yoga gegangen. Zum einen, weil es in diesem Jahr recht doof kollidiert mit dem Stundenplan meiner Kinder, aber hauptsächlich weil ich mich getraut habe meinem Gefühl zu folgen, gegen all die Stimmen, die mir sagen, dass alles zugrunde geht, wenn ich anfange feste Stunden zu schwänzen.

Aber dieser Kurs ist nicht mehr ganz das Richtige für mich, das spüre ich seit einiger Zeit. Ich möchte so üben, wie es mir gut tut, und nicht etwas machen müssen. Das hat einfach keinen Wert mehr. Erst habe ich nach anderen Kursen gesucht, bis mir aufgefallen ist, dass das nichts ändert. Auch dort werde ich einem Programm folgen müssen. Manchmal ist das gut, aber eben nur manchmal.

Ich kann der Erkenntnis nicht mehr ausweichen, ich muss die Verantwortung übernehmen. Seit Tagen habe ich immer wieder den Gedanken, dass ich viel eigenverantwortlicher mir dem Körper umgehen muss. Die Zeit ist vorbei, als ich noch eine Abhängigkeit von festen Stunden oder auch festen Übungsabfolgen gebraucht habe.

So wie es darum geht, den Alltag zu einer Art Dauermeditation und ständigen inneren Arbeit zu machen, sich unabhängig zu machen von Gruppen oder Lehrer (habe Michael Browns neue Website gefunden, da gibt es jede Menge kostenloses Material) so geht es auch darum, den Alltag für ein kontinuierliches Trainingsprogramm zu nutzen.

Es geht darum die Spaltung aufzuheben. Die Spaltung zwischen ‚jetzt ist Zeit für die innere Arbeit oder Mediation‘ und ‚dann kommt der Rest des Tages, der Alltag‘. Oder ‚jetzt ist Zeit den Körper zu bewegen und zu trainieren‘ und ‚dann kommt der Rest des Tages, der Alltag‘. Oder auch ‚jetzt ist Zeit zu entspannen und zu genießen‘ und ‚dann kommt der Rest des Tages, der Alltag‘.

Wenn der Alltag also immer von Allem getrennt ist was mir Freude macht und mich nährt, dann ist es kein Wunder, dass ich im Alltag leide, und esse.

Es geht um das sowohl als auch, im Gegensatz zu entweder oder. Und um Integration aller Anteile.

Ich kann, wenn mir danach ist, eine Trainingsstunde besuchen, aber ich kann das bewusste Bewegen meines Körpers auch einfach in den Alltag einbauen, indem ich z. Bsp. mein Wäschewaschen mich nicht einfach irgendwie bücke, sondern kontrolliert. Indem ich zwischendurch ein paar Übungen mache als Abwechslung. Ich kann mich hinsetzen zur inneren Arbeit, aber ich kann auch während ich den Haushalt mache mich dabei innerlich begleiten. Alles geht, wenn man es nicht zu ernst nimmt sondern sich erlaubt damit zu spielen.

Ich muss mich nicht verlassen oder auf das verzichten was mich nährt, nur weil ich eine bestimmte Aufgabe erledigen muss. Genau das hat mir mein altes Paradigma aber vorgegeben. Entweder ganz oder gar nicht. Unter diesem grausamen Diktat leide ich schon lange.

Aber nun beginnt etwas aufzuweichen, feste Mauern werden eingerissen, ich fühle, dass es nun in diese Richtung geht, das ist der nächste Schritt, ich fühle dabei Weite, Offenheit, Freude, Wärme.

Sehnsucht

Ich schwinde mal wieder.

Schon den ganzen Tag ein Unwohlsein, habe mich aber entschieden es nicht weiter zu beachten und stattdessen Punkte abzuarbeiten und zu essen. Das habe ich nicht bewusst entschieden, aber wenn ich nicht bewusst entscheide, entscheidet es für mich, das automatische Programm.

Doch als ich beim Küche Aufräumen buchstäblich drohte wegzusinken, weil ich spüren konnte, wie mich die Lebenskräfte verlassen, und zum dritten Mal in die Chipstüte griff obwohl ich Chips gar nicht mag, da war der Moment gekommen für ein wenig Entscheidung.

Ok, was ist los?

Ich fühle mich, als würde mich die Welt von alles Seiten zusammendrücken, sie hält mich fest und drückt mich zusammen, sie belastet mich, ich spüre diesen Druck körperlich. Gleichzeitig spüre ich eine Fluchtbewegung, ein Teil will weg von hier, will nach unten verschwinden, sich vom Acker machen.

Ich bleibe einfach bei diesen Empfindungen, kann eh nichts tun. Es fröstelt mich, es schüttelt mich, es zuckt.

Jede Erfahrung ist gültig, fällt mir Michael Brown ein, es ist genau die Erfahrung, die jetzt notwendig ist um blockierte Emotionen zu integrieren.

Ich stelle die Frage, ob ich mich zu einen früheren Zeitpunkt schon so gefühlt habe. Es kommen Bilder, von Studienzeiten, von Schulzeiten, vom Auswandern. Ich stelle immer wieder die Frage nach einen noch früheren Zeitpunkt.

Ich sehe mich als ganz kleines Baby schon dem Druck ausgesetzt und auf der Suche nach einem Fluchtweg. Es ist wie eine Geburtsprägung, das ist mein Lebensmodus, ich sage mal optimistisch: war es bisher.

Ich bleibe einfach dabei und bin mit mir und den Gefühlen, ich halte mich dabei während sei durch mich hindurchziehen. Auch während ich meine Tochter von der Schule abhole, zittern, frieren, zucken, würgen, alles dabei. Es wird immer schlimmer, und dazu kommt noch eine bleierne Müdigkeit, als würde ich jeden Moment wegdriften, als wäre hierbleiben einfach zu schwer.

Ich konnte nicht mehr, ich habe mich hingelegt und bin sofort eingeschlafen. Habe eine Stunde geschlafen. Jetzt fühle ich mich völlig erschlagen.

Es baut sich alles wieder auf, ich fühle mich wie ein Vulkan kurz vorm Implodieren. Gleich falle ich in mich zusammen und bin weg.

Ich hänge, irgendetwas will ich nicht wahrhaben. Ich lausche. Da höre ich es:

‚Ich will endlich dünn sein, endlich wieder schön sein, ich will mit gut fühlen, mich stark fühlen, mich wohl fühlen, keine Angst haben‘

Oh ja, ich höre dich, und jetzt verstehe ich auch, dich wollte ich ja gar nicht haben, du bist quasi verboten. Wieso eigentlich?

Das nützt doch nichts, sich nach etwas zu sehnen, was nicht ist.

Nützt nichts inwiefern?

Macht sie nur unglücklich weil es nicht so ist.

Oh. Soweit ich das hier sehe, war sie nicht unglücklich weil sie sich nach etwas sehnt, das nicht ist, sondern weil sie das Sehnen unterdrücken musste.

Sich etwas wünschen was nicht ist, darf nicht sein.

Wie kommst du denn auf so etwas?

Na ja, man soll doch annehmen was ist.

Ach so, daher weht der Wind. Das hast du ein wenig missverstanden. Was ist, ist. Und das Sehnen IST auch. Wenn das nicht sein darf, dann verleugnet sie ja auch was ist. Alles was ist, ist, und weil es ist, ist es richtig, sonst wäre es nicht. Also auch das Sehnen.

Der Druck ist raus, ich fühle mich weicher und wärmer, ein wenig traurig, weil ich nicht dünn bin, aber das darf eben auch sein. Bin wieder verbunden, was für ein Unterschied, immer wieder verblüffend. Vorher war ich kurz vor dem Nervenzusammenbruch und jetzt fühle ich mich wohlig warm und nichts aber auch gar nichts im Außen ist anders.

Durch dick und dünn

Es gibt Tage, da sehne ich mich so stark danach dünn zu sein, ich verzehre mich förmlich danach.

Heute ist so ein Tag. Ich sehe ständig Bilder von mir in dünn, wie ich leicht und schlank durch die Gegend schwebe. Ich wiege mich im Rhythmus, ich fühle mich wohl in meiner Haut, ich habe keinerlei Restriktionen bezüglich meiner Kleidung, ich kann alles anziehen, oh mein Gott, bei dem Gedanken muss ich weinen, werde ich jemals wieder Jeans anziehen können?

Ich werde jetzt die dünn/ dick Übung von Susie Orbach machen. Das letzte Mal ist lange her, mal sehen wo ich jetzt stehe.

Ich stelle mir eine Situation vor mit Menschen, eine Party z. Bsp. und lasse mich erst ganz dick werden und schaue was es mit mir macht, und dann lasse ich mich dünn werden und schaue was ich dann so mache, dann wieder dick und wieder dünn. Dieses hin und her bringt den springenden Punkt sehr schön zur Geltung. Also los.

Ich nehme gleich die Party auf der ich letztes Wochenende war. Ich betrete sie in meinem jetzigen Gewicht, ich fühle mich unwohl, ich schäme mich für mein Gewicht, ich versuche alles zu tun, damit es nicht so auffällt, ich verstecke mich, trotz meiner bunten und auffälligen Kleidung, aber auch diese soll ablenken. So bin ich eine bunte Dicke, sonst wäre ich nur noch eine Dicke. Ich bin in den bunten Klamotten gefangen, nicht bunt geht nicht, auch wenn ich dazu manchmal Lust hätte. Ich traue mich nicht mich an den Tussen-Tisch zu stellen (alle natürlich sehr dünn), ich stehe herum und versuche so zu tun als würde es mir nichts ausmachen allein herumzustehen. Alle anderen Gäste sind dünn. Mein Makel ist fühlbar.

Ich lasse mich dick werden, immer dicker und dicker. Ich bin jetzt riesig, aufgepumpt bis oben hin, ich kann mich nicht mehr rühren. Ich fühle mich sofort befreit, außerhalb jeder Konkurrenz, ich brauche nicht auf die anderen zuzugehen, ich brauche auch nicht rumstehen, ich kann mich endlich irgendwo an den Rand setzten und alles beobachten. Das ist jetzt erlaubt, ich muss nichts mehr tun. Wer mit mir sprechen will, der muss extra zu mir kommen, gleichzeitig ist es absolut erlaubt, dass ich nur sitze und gar nicht spreche. Gleichzeitig bin ich gefangen und erdrückt. Bewegen geht überhaupt nicht, weiblich sein auch nicht, ich bin eindeutig ein Neutrum, so eine Art Wesen von einer anderen Welt, das sich nicht zu den Menschen gehört. Und ich bin dabei unglaublich auffällig, uneingeschränkter Mittelpunkt.

Ich lasse mich schrumpfen, so lange bis ich dünn bin. Dünn kann ich mich dort gar nicht aufhalten, es engt mich ein, ich werde erdrückt von der Starre der anderen Gästen, es ist mir dort zu klein, ich muss raus. Ich fühle mich unwohl und nicht zugehörig, nur dass es jetzt nicht mehr äußerlich sichtbar ist. Ich sehe aus wie alle, kann aber nicht sein wie alle. Ich muss flattern, ich fange an zu glitzern und zu flattern, ich gehe aktiv in den Mittelpunkt, weil ich mich sonst langweile, ich darf als Dünne nicht entspannt in der Ecke sitzen, das geht irgendwie nicht. Aber ich fühle mich schön und sehr weiblich. Ich spüre die Blicke der anderen Frauen, ich bin eine Konkurrenz, ich spüre die Blicke der Männer, ich ekle mich von ihnen, ich mag nicht mit einem eindeutig anzüglichen Blick angesehen werden, ich kann damit nicht umgehen, ich flüchte.

Ich werde wieder dick, das Anzügliche verschwindet sofort, ich bin wieder ein Neutrum. Ich bin ein Mittelpunkt ohne mein Zutun, ich bin der Berg zu dem jeder kommen kann, ich kann selbst völlig entspannt in der Ecke sitzen, trotzdem interessieren sich die Menschen für mich. Flattern kann ich nicht mehr. Ich fühle mich erleichtert.

Ein letztes mal dünn, sofort fühle ich mich ungeschützt und nackt, ich kann nicht mehr in der Ecke sitzen, ich muss mich aktiv in den Mittelpunkt stellen, sonst werde ich erdrückt von der Starre der anderen. Wenn es aber Menschen gibt, die frei sind, dann fühle ich mich wohl, dann kann ich entspannen. Aber sobald jemand in der Starre ist oder mich irgendwie anschaut (kritisch oder anzüglich) fühle ich mich schrecklich ungeschützt.

Resumee: Die Qualität des Dicksein ist das Sein. Ich brauche nichts zu tun, ich kann einfach entspannen, die Dinge kommen schon zu mir, wenn es sein soll. Und dann ist es auch eine Schutzschicht vor den Menschen, vor solchen Verhaltensweisen mit denen ich (noch) nicht umgehen kann.

Die Qualität des Dünnseins ist Schönheit, Weiblichkeit und Flattern und Glitzern. Beweglichkeit. Leichtigkeit.

Beide Qualitäten, die des Dicksein und des Dünnseins müssen in das Leben hier und jetzt gelebt werden, bevor das Fett gehen kann.

Im Augenblick erscheint mir das unmöglich. Solange ich dick bin, bin ich nicht schön und weiblich. Bin ich aber schön und weiblich, bin ich ausgesetzt.

Kann ich schön und weiblich und glitzernd sein und trotzdem ruhig, entspannt und geschützt?

‚Ja, das geht‘, höre ich eine Stimme, ‚das kannst du inzwischen, es ist nicht mehr früher. Hier und heute kannst du in Verbindung bleiben und dich selbst nicht mehr verlassen. Du kannst alles was du brauchst, es ist alles in dir.‘

Ich starre ungläubig auf die Buchstaben die in die Tastatur strömen. Ich soll das alles können? Wieso bin ich dann dick?

‚Weil du es nicht glaubst. Du hast ein veraltetes Bild von dir. Wenn du mal reinfühlst, wirst du die Kraft und Fähigkeit spüren.‘

Ich verbinde mich innerlich, und ja, ich kann es fühlen, ich kann mich schützen, ich kann mir erlauben zu entspannen, ich kann mich schön und weiblich fühlen, ich kann glitzern, jetzt auf der Stelle, ich muss es nur tun. Die bewusste Entscheidung für die Handlung in notwendig, unabdingbar.

Es wird nicht automatisch geschehen, automatisch starten nur die alten Programme, ich einer Zeit geschaffen, als das Automatisieren leicht und nachhaltig zu schaffen war. Das ist heute nicht mehr, ein so tiefer Automatismus lässt sich nicht nebenbei oder von allein ausschalten, es braucht das Wach-Sein.

Der Fettanzug

Heute morgen sitze ich auf dem Sofa im Zimmer meiner Tochter und warte, dass sie sich anzieht. Ich schließe die Augen, weil ich müde, traurig und überfordert bin. Ich will ein wenig reinfühlen.

Da spüre ich meinen Körper zweigeteilt, nein, anders, ich spüre meinen dünnen Körper, es ist als stecke er in einem Fettanzug. Ich kann die Grenze richtig fühlen, spüre genau, wo der eigentliche Körper ist und wo der Anzug. Ich kann fühlen wie sehr mich der Fettanzug einengt, behindert und beschwert.

Der innere dünnere Körper bewegt sich autonom. Während der Fettanzug ruhig auf dem Sofa sitzt, hüpft und tanzt er herum, weil im Radio gerade gute Musik kommt. Und er voller Energie ist. Der äußere Körper, der kann das gar nicht, der ist viel zu schwer und unbeweglich.

….

Das war heute morgen. Inzwischen ist es Nachmittag, ich hatte bisher keine Zeit mehr dem nachzugehen, und wenn ich jetzt reinspüre geschieht etwas Interessantes. Dieser dünne Körper, den ich heute morgen ganz deutlich fühlen konnte ist weg. Zu einem kleinen Punkt im Oberkörper geschrumpft. Der Fettanzug ist zu meinem Körper geworden, weil der andere Körper weg ist.

Es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Heute morgen war ich noch in Kontakt mit meiner Essenz, da konnte ich beide Körper wahrnehmen, da wurde mir der Fettkörper zu viel, zu schwer, belastend.

Über den Tag habe ich den Kontakt verloren, und der Fettkörper übernimmt, füllt die Lücke, springt ein, damit kein Vakuum entsteht.

Wo bist du denn hin, dünner Körper?

Ich kann so nicht sein.

Was brauchst du um sein zu können?

Aufmerksamkeit und Zuwendung, anders geht es nicht. Du hast mich doch völlig vergessen, du vergisst mich immer, wenn etwas zu tun ist, jetzt hast du Pause und jetzt falle ich dir wieder ein, nach acht Stunden!

Ja das stimmt. Was könnten wir nur machen, damit ich dich nicht vergesse?

Du musst dich entscheiden, immer und immer wieder für mich entscheiden. Es gibt nichts, was du tun kannst und dann ändert sich alles wie durch Zauberhand. Wenn du mit mir in Kontakt bleiben willst, dann musst du dich dafür entscheiden. In jeder Situation neu, auch wenn es nicht passt, auch wenn es schmerzhaft ist. Gerade dann ist es wichtig. Gerade dann brauche ich Zuwendung und Liebe und Aufmerksamkeit. Wenn alles gut ist, ist es leicht. Aber ich brauche dich wenn es nicht gut ist, dann musst du bei mir bleiben. Und ich sage dir noch etwas: wenn du den Weg nicht mehr findest oder die Welt zu laut ist, dann hast du immer eine Brücke zu mir, das Atmen. Der Atem führt dich immer zu mir, darauf kannst du dich verlassen.

Ich bleibe beim Atem und fühlen wie der Punkt langsam größer wird, ich habe mehr Raum in der Brust, gleichzeitig werden Gefühle freigegeben, die ich den Tag über unterdrückt habe. Ich lasse alles geschehen. Ich werde weicher, der innere Körper wächst, ich kann ihn wieder fast vollständig fühlen. Von den Fußsohlen bis zum Scheitel und bis zu den Fingerspitzen. Das ist so schön wieder verbunden zu sein.

Fettkörper, was ist mir dir? Hast du eine Botschaft für mich? Wie fühlst du dich?

Ich bin die Ausgleichsbewegung der Natur. Ich muss da sein, damit du am Leben bleibst. Wenn dein Kern nicht leben darf, dann muss etwas das sein, was dich auf der Erde hält.

Du meinst sonst würde ich sterben?

Ja. Ohne Essenz, ohne Substanz würdest du sterben. Ich bin wie das Papier, dass man in den Schuh stopft, damit er sich nicht verformt solange er nicht getragen wird. Mein ganzes Dasein ist Ersatz. Und ich kann auch erst gehen, wenn dieser Ersatz nicht mehr notwendig ist.

Und der Ersatz ist nicht mehr notwendig wenn was passiert?

Das weiß ich nicht, ich bin ja nur der Ersatz. Ich weiß, dass ich automatisch gehe, wenn ich nicht mehr notwendig bin. Und ich weiß auch dass der Anfang über den Kontakt zur Essenz geht. Alles andere wird sich zeigen. Vertraue dir.

Seifenblase

Die Wahrheit über mich wird immer klarer, offener, fühlbarer.

Die Kinder machen nicht das worum ich sie bitte, Tränen, ich habe einen harmlosen Termin, Druck und Krämpfe, ich bekomme keinen Parkplatz, Druck, Krämpfe und Tränen, ich habe einen schwierigen Termin, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen. Der Körper spricht eine deutliche Sprache.

Was macht das mit mir?

Erleichterung, dass ich es endlich deutlich fühlen kann, dass ich mich nicht mehr fragen muss, was eigentlich mit mir los ist, wieso alles Mögliche zu anstrengend und kraftraubend ist. Weil ich meine ganze Kraft dafür aufbrauche diese Symptome zu unterdrücken und irgendwie weiterzumachen.

Und wenn ich jetzt reinfühle, ist da eine ganz tiefe Ruhe, ich muss mir nichts mehr vormachen, kein Bild mehr aufrechterhalten von jemandem dem alles nichts ausmacht, dem nichts etwas anhaben kann, der immer durchhält und sich zusammenreißt. Und auch nicht mehr vormachen, dass alles nicht so schlimm war.

Für mich war es schlimm, die Folgen zeugen davon. Und weil ich endlich alles fühlen kann, kann ich auch anerkennen wie schlimm alles war.

Die Stimme, die mir vorwirft, ich übertreibe gewaltig, dramatisiere dermaßen unverschämt, so schlimm sei das doch alles nicht gewesen, die ist schon noch da, aber ich glaube ihr nicht mehr, ich kann sie ganz klar als die Stimme meiner Mutter identifizieren, die damit versucht hat den Schein aufrechtzuerhalten.

Es gibt für mich verschiedene Aufgaben, wie das Positive wahrzunehmen und zu ankern, aber im Augenblick interessieren sie mich nicht.

Ich bin irgendwo angekommen wo es ganz still ist. Unendlich still. Seit ich heute morgen aufgewacht bin befinde ich mich dort. Still und schön und zart. Ich bin in einer kleinen Seifenblase inmitten des tobenden Sturms.

Ich kann die gewaltigen Luftmassen und fliegenden Gegenstände um mich herum sehen, aber sie erreichen mich nicht. Ich bin geschützt. Bei mir hier in der Seifenblase ist alles ruhig.

Mein Körper entspannt sich mehr und mehr, je länger ich hier bin. Ich kann alles fühlen, ich bin nicht abgeschnitten, aber all das Fühlen nimmt mir nicht die Ruhe.

Ich glaube das ist innerer Frieden. Mitten im Sturm. So fühlt sich das an, er existiert tatsächlich. Ich darf das jetzt erleben, so ganz unvermittelt, ich hatte mich ursprünglich zum Weinen hingesetzt.

Mir fällt die Karte ein, die ich gestern vor dem Schlafengehen noch gezogen habe: Genieße jede Erfahrung, das ist deine einzige Aufgabe, für den Rest ist gesorgt.

Genau so. Ich genieße meine Seifenblase und fühle, das sich alles von allein entwickelt. Ich muss nichts tun.

Familientrauer

Diffuses Unwohlsein. Schon damit aufgewacht.

Wie fühle ich das? Spannung im Magen, im Brustbereich, Kiefer und Stirn, nicht sehr stark aber ausreichend um mich zu beunruhigen. Oder auch Ausdruck einer Beunruhigung. Ich weiß es noch nicht.

Ich fühle weiter.

Kann ich denn nicht einfach nur leben? An den meisten Tagen brauche ich erst eine gründliche innere Pflege, bevor ich irgendetwas sinnvolles machen kann.

Die Alternative wäre darüber hinweggehen, aber das führt ins Nirgendwo, ins Essen oder Depression oder sonstwas noch Schlimmeres.

Es ist heute schwer. Außer der Spannung will sich mir nichts zeigen. Es kommt eine Welle spontanen Mitgefühls, ich werde innerlich weicher. Ich bleibe noch etwas dabei, vielleicht zeigt sich noch etwas.

Ich folge dem Körper, lasse den Druck und die Spannung machen was sie wollen, ich tanze innerlich mit und auch ein wenig äußerlich, es kommt Trauer, würgen, dann ein Bild. Ich sehe ein kleines Mädchen, vielleicht drei oder vier oder fünf, die hält krampfhaft fest an einer Liane, über einem Abgrund schwebend, das ist für sie Alltag.

‚Ich habe Angst vor dem Leben, ich habe so Angst vor dem Leben.‘

Ich schaue von Boden zu ihr hoch, sie hängt gar nicht so hoch, ich könnte sie problemlos da runter holen, das scheint sie nicht zu sehen.

Sie sieht den Boden nicht, für sie ist alles neblig, sei denkt sie schwebt irgendwo ganz weit oben.

Ich hingegen bin ganz nah, wenn ich mein Arme ausstrecke, könnte ich sie greifen. Aber das will ich gar nicht, ich traue mich nicht näher, ich habe nichts zu sagen was ihr die Angst vor dem Leben nehmen könnte. Hilfe!

Es kommt mein persönlicher Jesus, jung, schmächtig, in Jeans und einem dunkelblauen T-Shirt, mit halblangen braunen Haaren. Den kenne ich gut, er begleitet mich schon sehr lange, lebt auf einem Hügel in einem fernen Land, inmitten von ein paar Ruinen, umgeben von einer wunderschönen, grün-blau-gold schimmernden Weite. Wenn er kommt, bringt er seine Umgebung immer mit. So auch jetzt.

Links der Dschungel, die Liane, das Mädchen, der Nebel, rechts der Runinenhügel mit Panorama und dem persönlichen Jesus. Und ich mittendrin.

Jesus kommt und nimmt mich in den Arm: ‚Es ist alles in Ordnung‘, sagt er, ‚es ist alles in Ordnung‘. Und das ist ungemein tröstlich, immer wieder. Er sagt das nämlich jedes Mal wenn er kommt. ‚Auch wenn du nicht verstehst welche Ordnung alles hat, ist doch alles in Ordnung. Du kannst der Ordnung vertrauen.‘

Ich setze mich erschöpft auf den Boden. Das kleine Mädchen steigt von der Liane ab und setzt sich auf meinen Schoß.

Der Dschungel verschwindet, der Ruinenhügel samt Jesus auch, es bleibt eine weiße neblige Leere, brr, kalt und leer ist es, wir trösten und wärmen und gegenseitig. Das Mädchen setzt sich in meinen Bauch, da ist es warm und geschützt. Ich kann fühlen, wie sie entspannt.

Ich rutsche durch den weißen kalten Nebel in ein Loch, ich gleite immer tiefer, ich kann mich kaum noch festhalten, ich lasse los, ich falle in eine andere Welt, es ist dunkel, aber da ist auch Licht, Sterne und anderes buntes Licht, ich falle und falle und lande auf einem großen, weichen, weißen Trampolin, ich bleibe einfach auf dem Bauch liegen und schwinge ein wenig nach, irgendetwas warmes weiches deckt mich zu, ich rolle mich ein und schlafe weg, es gibt keine Lösung, ich spüre die Hoffnungslosigkeit und die Überforderung durch das Leben vollkommen, ich bin Hoffnungslosigkeit und Überforderung. Ich löse mich auf, ich werde schleimig, ich Schleim rutsche durch das Trampolinnetz, ich lande auf einem grauen Asphaltboden mitten in einer Stadt, ich wälze mich voller Freude auf diesem harten Boden, so wie meine Hunde sich in Rehkot wälzen. Ah, ah, ich schlängele mich da hinein, der harte Asphaltboden ist so angenehm, und jetzt drehe ich mich auf den Bauch und wälze mich weiter, ah, das ist so schön, ich genieße es richtig, ich gehe mit, innerlich und äußerlich, plötzlich hört es auf, ich sitze wieder an meinem Schreibtisch und fühle eine tiefe wortlose Trauer.

‚Ich will mich nicht so fühlen, diese Traurigkeit ist bedrohlich.‘

Warum eigentlich?

‚Ich weiß nicht.‘

Kannst du nicht in die Traurigkeit hineinschmelzen, wie der Schleim in den Asphalt?

‚Doch, stimmt, ich darf traurig sein, auch wenn ich nicht weiß wieso.‘

Ich tauche ein in das Gefühl, ich werde zur Traurigkeit, der ganze Körper wird schwer und zieht nach unten.

Auf einmal erscheinen meine Großeltern, meine Urgroßeltern und meine Eltern. Sie stehe stumm aufgereiht vor mir.

‚Ist das eure Traurigkeit, die auf mir lastet?‘

Sie nicken stumm im Chor.

‚Dann gebe ich euch hiermit alle Traurigkeit die zu euch gehört zurück.‘

Und dann überreiche ich jedem ein Tuch als Symbol für sein Traurigkeit. Je weiter ich in der Reihe fortschreite, desto mehr muss ich weinen, ich spüre diese unendlich große Familientrauer, die mich auch mit ihnen verbindet. Ja ich spüre sehr viel Mitgefühl für alle, für ihre schweren Schicksale und all ihr Leid. Ich kann den Schmerz eines jeden einzelnen nachfühlen und weine, und weine und weine.

Ich verbeuge mich spontan vor jedem Einzelnen und sage: ‚Es tut mir so leid für dich. Bitte gebe mich frei.‘ Und jeder streift daraufhin seine traurige erdrückende Hülle ab, wird zu der schönsten Ausgabe seiner selbst, Liebe strahlt aus ihren Augen und sie sagen: ‚Ich gebe dich frei.‘

Während all der Zeit weine ich alle Tränen aus mir raus, gleichzeitig bin ich fasziniert, wie schön jeder wird, wenn er seine Hülle abstreift.

In mir ist Frieden eingekehrt, die Trauer ist auch da, aber ich bin damit in Frieden. Und da ist ganz viel Mitgefühl für all die Schicksale und für mich.

Und jetzt merke ich, dass ich total hungrig bin.

Schwarzer Stachelkobold

Genau jetzt ist die Gelegenheit zu schauen was los ist wenn ich so gelangweilt und träge bin.

Kein Drama in Sicht, also Langeweile. Ich fühle.

Sofort fällt mir die Anspannung auf. Magen, Oberkörper, Kiefer, alles unter Spannung. Natürlich, die Anspannung ist ja immer da.

Denn eigentlich könnte ich total genießen, was ich mir immer so sehnlichst wünsche, kein Streß, kein Drama, kaum zu tun, wenn die Spülmaschine nicht zählt, ne, die zählt nicht, alle Kinder spielen, es sind Ferien, ich muss niemanden mit Hausaufgaben nerven, ein Idealzustand.

Und es passiert das, was immer passiert wenn der Idealzustand eintrifft, ich weiß nichts mit mir anzufangen.

Die Anspannung verhindert es, sie ist ja da, und da geht abhängen einfach nicht, also müsste ich etwas tun, finde aber nichts, habe auch zu nichts Lust, spüre auch, dass jetzt erholen dran ist, kann es aber nicht. Noch nie vorher habe ich so klar gefühlt, dass ich nicht entspannen kann, dass ich nicht einfach sein kann. Geht nicht.

Was ist, wenn ich es ganz bewusst sage: ‚Wir machen heute so richtig nichts mehr, nur noch Abendessen kochen.‘

Da zuckt es sofort, der Widerstand springt auf: ‚Das geht nicht.‘

Was soll das heißen?

‚Ich kann nicht nichts tun, ich kann nicht entspannen, ich kann nicht einfach rumhängen, das geht einfach nicht.‘

Ich sehe ein kleines schwarzes Wesen mit stacheligen abstehenden Haaren, ach jetzt weiß ich was es ist, es ist ein Kobold, das stapft ganz aufgeregt hin und her und gestikuliert und regt sich auf, irgendwie niedlich.

Warum nicht?

‚Ich weiß nicht wie das geht.‘

Würdest du denn gern entspannen?

‚Oh, ja, und wie, das wäre so schön, das ist mein größter Wunsch‘

Und weißt du denn, was dich daran hindert?

‚Es ist irgendwie gefährlich‘

Genauer? Was befürchtest du?

‚Ich weiß es nicht, es ist mir unmöglich meine Aufmerksamkeit abzuziehen und ein Stopp zu setzen. Stopp, jetzt ist Pause, das geht einfach nicht.‘

Kannst du es vielleicht einfach probieren, ich bin ja bei dir, damit wir vielleicht herausfinden was dann passiert?

‚Ok.‘

Der schwarze Stachelkobold rollt ich katzenartig zusammen, ich fühle wie er mit sich kämpft auch die Augen zuzumachen, sie gehen aber immer wieder auf, der ganze Körper bleibt unter Spannung.

Spontan lege ich eine Hand auf meinen Magen, da sitzt er nämlich der schwarze Stachelkobold, und er wird ein klein wenig weicher.

Ah, das scheint der richtige Weg zu sein. Je länger die Hand dort verweilt, desto weicher wird der kleine Kobold, in winzigen Schritten, lässt die Muskelspannung nach. Ich sehe meine Wasserfrau und meine Feuerfrau, oh und die Frau Angst ist auch da, sie alle genießen diese Berührung.

Ich fühle die Erleichterung des schwarzen Stachelkobolds, weil er nicht mehr allein ist, sprechen will er nicht mehr mit mir, dafür ist er gerade zu entspannt.

Und tatsächlich, mein ganzer Körper wird langsam weicher, millimeterweise weicher. Ich spüre eine angenehme Schwere, Ruhe, Frieden und nicht das allerkleinste Verlangen nach irgendetwas.

Wenn ich an meinen kleinen Kobold denke und ihn gedanklich streichle, dann kann ich auch beide Hände benutzen ohne dass die Anspannung Land gewinnt.

Das probiere ich jetzt beim Kochen aus.

Feuerfrau

Ich bin schon mit Übelkeit aufgewacht. Und Schwindel. Obwohl nichts ansteht. Dieses Tor ist wohl offen. Wir haben gestern in der Therapie auch noch daran gearbeitet.

Ich sehe sofort diese Kleine, vielleicht 1-2 Jahre alt, die sich an mich klammert und weint und nicht versteht wie das Leben geht. Sie ist in die Hölle gekommen, immer in Gefahr, egal was sie versucht es ist immer falsch. Sie begreift gerade, dass sie da nicht rauskommt. Ich übergebe mich, nüchtern, der Wahnsinn.

Ich habe mich bis zu meiner dritten Schwangerschaft niemals übergeben, auch nicht bei Magen-Darm-Infekten. Jetzt dämmert mir, Übelkeit und Brechreiz sind mein körperliches Symptom gewesen, mein ganz frühes Warnsystem, aber da das nichts brachte und alles nur noch schwerer machte, habe ich offenbar gelernt, das wirksam zu unterdrücken.

Jetzt folge ich dem Faden rückwärts und alles kommt ans Tageslicht. Ich halte die Kleine ganz fest, ich sage ihr, dass das vorbei ist, dass sie hier in Sicherheit ist und sich erstmal ausruhen darf, ohne das irgendwer draufhaut. Dass alles nicht ihre Schuld war, nicht ihr Versagen, die Welt in die sie hineinkam war so, jedem wäre es dort genau so ergangen wie ihr.

Wir kamen gestern in der Therapie auch noch an etwas anderes. Die absolute Abhängigkeit vom Drama. Sobald alles gut und zu bewältigen ist, sobald halse ich mir selbst das nächste auf, dass mich wieder in eine Überforderungssituation bringt, weil ich so viel Angst davor habe. Wenn ich es überstanden habe, dann suche ich mir das nächste usw.

Da ist also eine Kraft in mir, die mich immer dahin treibt, wenn ich nichts mache, dann langweile ich mich und bin frustriert. Es ist aber nicht so, dass dieses nichts tatsächlich nichts bedeutet, sondern etwas, dass mir keine Angst verursacht. Sobald ich eine Aufgabe einigermaßen entspannt ausführen kann langweilt sie mich. Und das war schon immer so, seit ich denken kann.

Gleichzeitig leide ich heftigst unter diesen Dramaperioden, je tiefer ich reingehe immer mehr. Irgendwo habe ich gelesen, dass frühkindliche Traumata die chronisch waren, wie z. Bsp. ein Entwicklungstrauma, dazu führen, dass man süchtig nach Drama wird, also nach diesem Zustand der totalen Anspannung und Panik, der Körper fordert es ein wie eine Droge.

Ich glaube nicht so sehr daran, dass es eine hauptsächlich körperliche Sache ist, obwohl die hormonellen Gegebenheiten sicher auch eine Rolle spielen, sondern dass es ein sehr starkes Muster ist, das automatisch anspringt.

Wobei das sehr miteinander verwurschtelt ist, weil es sicher auch eine Kraft gibt, die voran will, die etwas bewegen will. Und dann eine, die das Drama will.

So wie heute. Panik weil ein Bescheid von einer Behörde fehlerhaft war. Obwohl ich mit dem zuständigen Sachbearbeiter alles besprochen hatte und meinen Teil wie vereinbart erledigt habe. Und das lustigste, fehlerhaft zu unseren Gunsten.

Gestern Abend schon Panik deswegen, aber ich konnte so spät nicht mehr anrufen. Ein Zwang es richtig zu stellen, das Gefühl, es darf nicht so bleiben, Katastrophe! Genauer bekam ich es nicht zu fassen.

Heute morgen also den zuständigen Sachbearbeiter erreicht, der total entsetzt war, es war wohl ein Fehler seiner Vertretung, er konnte sich das nicht erklären, war sichtlich gepeint, hat sich tausendmal entschuldigt, hat sich tausendmal bedankt, dass ich mich gemeldet habe, ich hätte es auch einfach so zu unseren Gunsten stehen lassen können, oder überhaupt nicht bemerken können.

Da wurde mir wieder anschaulich vorgeführt, wie ich sofort die Schuld und die gesamte Verantwortung bei mir suche. Nur ich habe den Überblick, ich muss aufpassen, ich muss das gerade richten, und jede Minute in der das nicht möglich ist, wird mit Paniksymptomen bezahlt, selbst wenn es in Realität null Konsequenzen gibt.

Gibt es einen Weg aus der Hölle?

Ich stelle ein Symbol auf für das Drama. Mir schießt sofort das Blut in den Kopf.

Was ist deine Funktion, warum bist du da?

‚Ich bin die fehlgeleitete Kraft‘

Oh. Was soll das heißen?

‚Sie hat so unglaublich viel mehr Kraft und Lebendigkeit als sie lebt, das muss irgendwo hin. Die meiste Zeit hat sie das mit Extrem-Bewegung kompensiert, jetzt zunehmend mit Drama.‘

Aber verstehe ich das richtig, ob Bewegung oder Drama, es ist alles Kompensation?

‚Nein. Bewegung ist ein möglicher Ausdruck, aber nicht immer der angemessene, Drama ist Kompensation.‘

Ich verstehe nicht von welcher Kraft du sprichst.

‚Von der Lebenskraft‘

Kennst du den Mechanismus? Kannst du mir den erklären.?

‚Sie hat ganz schön viel Kraft mitbekommen von der Natur, viel viel Lebendigkeit. Und die durfte von Anfang an nicht sein, aus inzwischen wohlbekannten Gründen. Was konnte diese Kraft tun? Sie war und ist ja da. Also gab es ein einigermaßen geduldeten Ausdruck, Ballett, da konnte sie eine Weile lang hinfließen, dann die exzessive Sportzeit, und Extrem-Nachtleben, da konnte sie auch hinfließen, auf die Dauer ist es aber nicht der Weg. Das spürt sie ja, deswegen macht sie das auch nicht mehr. So und einen Ausdruck der Kraft, der nicht Extremsport oder Extremausgehen (eigentlich auch nur Dauertanzen) ist, hat sie nicht gefunden, sie hatte ja nie die Möglichkeit ihr freien Lauf zu lassen um zu sehen wie sie sich entfaltet. Aber die Kraft will sich bewegen, also gibt es die Dramen, die erzeugen auch ganz viel Bewegung, ganz viel Lebendigkeit, wenn auch unangenehme. Besser unangenehme Lebendigkeit als gar keine, ihre Lebendigkeit dauerhaft zu unterdrücken ist ihr nicht möglich, dazu hat sie zu viel davon.‘

Oh, das ist ja krass. Ich bin ja sprachlos. Was du alles weißt. Und nun, weiß du wie der nächste Schritt aussieht?

Ich sehe die Kraft vor mir, die Lebendigkeit, eine Frau mit feuerroter Mähne, die so intensiv ist, dass sie fast brennt. Ich kenne sie sogar schon, sie ist mir schon zweimal begegnet, ich nenne sie Feuerfrau.

Und du bist meine Kraft?

Ja.

Wie soll es weitergehen? Was brauchst du?

Ich bin zwar feurig und kraftvoll, aber ich bin auch total empfindlich und zerbrechlich und verwirrt. Ich bin viele Jahre geknechtet und geknebelt worden, dass ich zwar immer noch meine Intensität habe aber keine Richtung mehr. Fürs erste musst du mich einfach mitnehmen, bewusst in dein Leben nehmen, mich dabei sein lassen, ich muss erst aus der Verkleidung raus und sehen wie es ist. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht sagen.

Ich bin unschuldig

Die Frau Angst ist wieder sehr mächtig.

Zittern, Magenkrämpfe, weiche Knie, so bin ich aufgewacht. Es ist als ob der Körper erst schlafen muss um die Energie für all die Angstsymptome zu sammeln.

Also, Frau Angst, was soll ich tun?

Kämpfe nicht. Fühle nur. Dann wir dir etwas gezeigt.

Hm. Was?

Das siehst du dann.

Und wie lange?

So lange es dauert.

Ha, ha.

Ok, also ich fühle.Ich tauche ein in den Strudel von Übelkeit und Schwindel und Schwinden. Ich würge und zucke. Zwischendrin merke ich wie der Widerstand automatisch versucht alles wegzudrücken. Es braucht eine bewusste Entscheidung es zuzulassen.

Ich halte das nicht aus, mich ständig so zu fühlen, ich drifte weg, es ist anstrengend. Dabei zu bleiben ist anstrengend. Kann ich nichts von mir wollen?

Wie wäre es wenn ich nichts von mir wollte?

Dann fange ich an mich aufzulösen, werde von Angst und Widerstand in Stücke gerissen. Jeder krallt sich ein Teil. Tränen kommen, sinnlose Situation. Nicht zu ändern.

Ich lege mir eine Hand auf die Brust und schenke mir selbst Mitgefühl, weil es einfach so verdammt Scheiße ist. Ich bin verdammt zu einem Leben in Angst.

Das Mitgefühl ist wie warmes Öl, das ich über meine Haut gieße, es umspült mich, es umschließt mich, es wärmt mich, es tröstet mich. Es gibt keinen Ausweg, aber es gibt Trost.

Und ich merke, Mitgefühl stellt sich erst ein, wenn ich die Hoffnung auf Beeinflussung der Situation völlig aufgegeben habe. Sonst steuert der Antreiber, der will, dass ich mich noch mehr anstrenge um das Problem zu lösen und der mir vorwirft mir nicht genug Mühe zu geben. Der gibt mir die Schuld, ja, der gibt mir die Schuld.

Aber ich habe keine Schuld. Aufgrund unzähliger Umstände, die ich alle nicht beeinflussen konnte geht es mir so, und es wird weiter so sein, dass ich mit unzähligen Umständen konfrontiert werde, die ich nicht beeinflussen kann. Und auch was es in Zukunft mit mir machen wird, ist nicht meine Schuld. Ob ich dann so, oder so oder so reagiere, das weiß ich nicht, und wie auch immer es sein wird, ich habe keinen Einfluss.

Dass ich mich dieser Tatsache nicht vertrauensvoll hingeben kann, das ist das Ergebnis meiner Geschichte auf dieser Welt, und auch das ist ein Umstand, den ich nicht beeinflussen konnte.

Wir Menschen sind dem Leben ausgeliefert, nackt und ungeschützt, egal was wir tun. Und wenn wir dem Leben nicht vertrauen, dann geht es uns eben so. Und dass wir dem Leben nicht vertrauen, das ist auch nicht unsere Schuld.

Aus dieser Perspektive ist es ganz leicht mir mit Mitgefühl zu begegnen, und ich merke, ich brauche dieses ganze Mitgefühl auch dringend, das hat es für mich nie gegeben. Nie.

Auch wenn ich schon hin und wieder auch getröstet worden bin, so doch nie ohne einen Spruch wie: ‚Das hast du jetzt davon.‘, ‚Das habe ich dir gleich gesagt.‘, ‚Warum musstest du auch…‘, ‚Stell dich nicht so an.‘ ‚Selber schuld.‘

Ja, tief eingegraben glaube ich, dass ich an meiner ganzen Misere selbst schuld bin, dass mir das alles wider besseren Wissens selbst eingebrockt habe und dafür sicher kein Mitgefühl verdiene sondern noch einen obendrauf, damit mir das ja nicht nochmal passiert und ich endlich daraus lerne.

Was für eine grausame Welt in mir drin.

Aber jetzt lege ich mir immer wieder die Hand auf die Brust und sage innerlich: ‚Ich bin unschuldig. Dass es mir so geht, geschieht ohne mein Zutun, ich kann es nicht beeinflussen, ich verdiene all mein Mitgefühl für meine schwere Situation.‘

Und, was soll ich sagen, das System beruhigt sich ein wenig. Und das ist viel, wo ich vorher schon kurz vom Brechen war und auf jeden Fall nicht in der Lage war aufrecht zu stehen.

Wer passt immer auf?

Ich halte fest, in ca. 7 Stunden habe ich Kurs und ich drehe noch nicht durch.

Aber gut fühle ich mich auch nicht. Was fühle ich eigentlich?

Stelle den Wecker auf 10 Minuten.

Müdigkeit, der ganze Körper sinkt nach unten. Aber im Kopf und im unteren Brustbereich, da sinkt etwas gar nicht, da blinken lauter kleine Lämpchen, sie können nicht sinken, sie passen auf.

Ich sehe eine Frau, sie ist in einer Art silberner Kleid-Rüstung angezogen, starr wie eine Puppe kann sie nichts bewegen außer ihres Kopfes. Den allerdings lässt sie in rhythmischen Abständen 360 Grad kreisen. Wiuung, wiuung, wiuung, macht es, alles wird abgescannt.

Sie ist voll und ganz in mir, ich spüre ihre Umrisse innerlich, und der Kopf pulsiert.

‚Hallo‘, sage ich.

‚Hallo‘, haucht sie schnell, ohne ihr gleichbleibend rhythmisches Kreisen zu unterbrechen.

Was machst du da?

‚Ich passe auf, was sonst.‘

Worauf?

‚Das nicht passiert.‘

Was kann denn passieren?

‚Alles mögliche, deswegen passe ich ja auf.‘

Oh. Und wenn du eine Gefahr erkennst, was machst du dann?

‚Keine Ahnung, ich kann nicht viel tun, ich bin ja starr.‘

Hat du schon mal eine Gefahr erkannt?

‚Ich kann mich nicht erinnern.‘

Du kannst dich nicht erinnern? Besonders effektiv scheinst du ja nicht zu sein.

‚Ich kann nicht anders, ich muss mich immer drehen.‘

Aber eigentlich willst du doch nicht mehr oder? Du weißt längst dass es nichts bringt, dass er nur anstrengend ist?

‚Ja, das weiß ich.‘

Auf einmal öffnet sich in meinem Bauch ein Abfluss, das Plastik schmilzt, die ganze Frau wird strudelartig in den Abfluss gesogen. Alles ist schon fast durch, nur der Kopf klebt noch hartnäckig an meinem Kopf fest, oder besser der Scheitelpunkt, ihr restlicher Kopf ist bis zum Bauchnabel langgezogen.

‚Ich will nicht gehen, ich will nicht gehen!‘

Du musst doch auch nicht gehen. Nur mit diesem schrecklichen Dauerscannen aufhören.

‚Ach so?‘

Das Abflussloch geht zu, Wasserpfützchen schwingen noch hin und her, von ihr ist nur der Kopf übrig, aus ihm wird ein kleines Wesen, das rollt sich zusammen und kuschelt sich in meinen Brustraum.

‚Ich muss mich erstmal ausruhen‘

Ja, ich auch, jetzt habe ich die Ruhe mich hinzulegen. Danach sehen wir weiter.