Symbiose und Autonomie

Am Wochenende war ich bei jemandem, der mit mir an der Systemischen Selbst-Integration gearbeitet hat, nach dem Muster wie es hier beschrieben ist, etwas abgewandelt, natürlich.

Worum es aber geht, was ich total spannend finde, ist das Bild auf dem es aufbaut, das schamanische Verständnis von Krankheit oder Störung. Im Laufe des Lebens geben wir aus verschiedenen Gründen Seelenanteile an andere ab, am meisten an unsere Eltern aber auch an alle möglichen anderen und bekommen gleichzeitig Anteile, die nicht zu uns gehören. So ist unser Seelenkuchen kein homogenes Gebilde mehr aus lauter Teilen, die zu uns gehören, sondern enthält auch Teile von anderen, während manche unserer Teile fehlen.

Wir geben unsere Energie weg und sind nicht mehr mit unserem Selbst oder Wesenskern verbunden. Langlotz beschreibt das so, dass unsere Fähigkeit zur Selbstabgrenzung, die Verbindung mit dem Selbst und die Integration aggressiver Impulse vermindert ist, während wir zur Kompensation die Überabgrenzung, die Dominanz und die Destruktion ausbilden. Auf seiner Website, die ich auch dauerhaft verlinkt habe, wird alles sehr ausführlich beschrieben, und auch wie man mittels einer Aufstellung das alles wieder auseinander dröseln kann.

Für mich war das ein ganz wichtiger Baustein, denn trotz so viel Arbeit an mir selbst, so viel von diesem und jenem fühle ich mich nach wie vor schwer, energielos und weiß nicht was ich will. Bin verwirrt und orientierungslos.

Ein typisches Symptom von fehlender Abgrenzung ist, dass sobald etwas an einen herangetragen wird, man sich automatisch damit identifiziert, mit Aufgaben, mit Kritik, mit Wünschen und Vorstellungen anderer. Man erschafft einen gemeinsamen Raum in dem die Grenzen verwischt sind und weiß gar nicht, dass der ungeteilte eigene Raum ein Geburtsrecht ist, genau wie die Verbindung mit dem erwachsenen Selbst.

Bei mir kommt diese symbiotische Verschmelzung dauernd vor, es ist mein Thema, ich habe sie bisher mit meiner Mutter, meinem Vater und sogar mit ‚alles was zu tun ist‘ aufgedeckt. Also das was zu tun ist, wird so wichtig, dass es das Selbst verdrängt und sich an seinen Platz stellt. Bei der Aufstellung ist das so was von offensichtlich, das ist erschütternd.

Kein Wunder auch, dass ich meine Lebensfreude auf einer Skala von 0-100 bei 0,25 eingestuft habe. Bei so wenig eigene Energie und so viel Fremdenergie reicht es nur noch zum Funktionieren.

Nach der Sitzung war ich sofort wacher, nicht viel wacher, aber wacher. Und es hält an. Inzwischen habe ich das selbst auch noch mit anderen Personen gemacht, es zeigt Wirkung. Ganz tief innen fühle ich ein kleines Pflänzchen, so ein Gefühl des Da Seins, noch ganz fein, ich fühle mich ein wenig real, ich spüre, wenn auch nur hauchzart, dass ich lebe. Ganz abgefahren.

Ich freue mich grad so, dass ich einen weiteren Baustein bekommen habe, schon so lange hänge ich fest und weiß nicht wie es weitergehen soll, ich habe um Hilfe gebeten und sie bekommen, danke!

In der Ausbildung war das auch schon Thema, meine fehlende Fähigkeit zur Abgrenzung im Kontakt, aber erstens wird da keine Lösung angeboten und zweitens war mir nicht klar, wie elementar das ist, das ist die Basis, darauf baut alles andere auf, kein Wunder, ich baue die ganze Zeit mein Haus auf Sand.

Das erste Mal überhaupt habe ich den Wunsch hier auszumisten und Gerümpel loszuwerden. Bisher ging dieser Impuls immer von meinem Mann aus und er hat es auch allein machen müssen. Für mich undenkbar. Zwar war ich immer fasziniert von Orten an denen es leer und übersichtlich ist, aber bis darauf dass ich mir vor vielen Jahre mal das Buch ‚Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags gekauft habe‘ habe ich sonst nichts gemacht. Jetzt habe ich es wieder hervorgekramt. Bis gespannt.

Regieanweisungen

Ich bin ein wenig kränklich. Seit zwei Tagen. Sehr schwer für mich zu ertragen. Mich körperlich unwohl zu fühlen ist für mich der Horror.

Wieder eine schöne Gelegenheit zur Flucht.

Heute geht es schon ein wenig besser. So gut, dass mir wieder auffällt, wie wenig ich mit mir anfangen kann. Ich stehe daneben, schaue mir zu und staune. Sicher, ich könnte die Küche machen, aufräumen und son Zeug, aber das mache ich alles nur, wenn es nicht mehr anders geht.

Ich könnte die nächsten Minuten, oder auch Stunden, machen was ich will. Und mir fällt nichts ein. Sport geht nicht, zu krank dafür. Schlafen auch nicht, zu wach dafür. Üblicherweise beame ich mich dann weg mit lesen. Das geht auch nicht mehr, seit mir bewusst ist, seit ich gemerkt habe, dass ich mir das nächste Buch oder den nächsten Artikel hole noch bevor ich den vorherigen fertig gelesen habe, damit kein Loch entsteht, damit die Sucht zu ihrem Recht kommt. Immer das Selbe.

Jetzt sitze ich hier und frage mich was nun? An dieser Stelle hänge ich. Das Alte geht nicht mehr, aber etwas Neues ist nicht in Sicht.

Mit fällt grad ein, hier und jetzt ist mein Leben, genau so wie es gerade ist. Ok, also wie ist es gerade?

Schwupp, ist mir schon eine Email eingefallen, die ich noch schreiben wollte. Ein Teil will das bewerten, so nach dem Motto, jetzt drückst du dich vor dem Leben mit neuen Aufgaben, die dir einfallen.

Aber warum eigentlich, warum darf es nicht sein, dass ich ein wenig dies und ein wenig das mache? Warum darf es nicht sein, dass mir nichts einfällt, was ich machen kann? Warum darf es nicht sein, dass ich mich bescheiden fühle? Lustlos? Schwer? Müde? Krank?

In meinem Kopf ist der Teufel los. Ich fühle wie es richtig abgeht, jeder kämpft gegen jeden.

Wenn ich solch unerhörte Fragen stelle kommt mein Gehirn nicht mehr mit. Nicht wie ich bin ist das Problem, sondern das was das Gehirn darüber denkt. Es ist programmiert auf kategorisches Somussessein. Und dabei sehr lern-und anpassungsfähig. Alles was neu dazu kommt, wird sofort in ein absolutes, unter allen Umständen zu befolgendes Prinzip umgebaut.

Gestern muss ich ständig Sport machen, heute soll ich auf keinen Fall Sport machen und morgen muss ich wieder Sport machen, aber NUR wenn ich wirklich Lust habe. Gestern soll ich stark sein, heute soll ich jeder Schwäche nachgeben, und morgen soll ich bitte genau hineinhören ob es notwendig ist oder nicht. Gestern soll ich positiv denken, heute soll ich nicht verdrängen und morgen soll ich dankbar sein und, und, und. Aus allem wird eine Regel, die es zu befolgen gibt, aus allem wird eine Gelegenheit etwas falsch zumachen, aus alles wird Stress es zu schaffen und Unglück wenn es nicht klappt.

Für die Eltern-Kind-Gruppe EntdeckungsRaum gibt es einen Grundsatz: ‚Das einzige Dogma ist kein Dogma‘. Der fällt mir jetzt ein.

Denn genau darum geht es. Die Regeln und Vorgaben Regeln und Vorgaben sein zu lassen, und zu schauen: Wie ist es eigentlich wirklich? Wer oder was bin ich? Was mache ich hier? Wie ist es?

Ich mache eine Meditation in der ich um Führung bitte, darum, dass mir gezeigt wird, was der nächste Schritt ist:

‚Schau es an, schau nicht weg, egal was du siehst. Das ist dein Leben. Du wirst lernen, zu akzeptieren, dass du nicht weglaufen kannst, dass es nichts gibt wovor es wegzulaufen gilt. Deine Aufgabe, dein nächster Schritt ist, die Augen aufzumachen und dich umzuschauen. Mit offenem Blick. Alles ist neu. Schau einfach. Mehr nicht. ‚

Ich beobachte mich am Schreibtisch sitzend, den Kopf nach rechts drehend und darüber nachdenkend. Mir fällt ein, dass ich als Kind viel mit einer solchen Beobachterposition gespielt habe. Ich habe mir ausgedacht wie ich sein will, habe das so auch gemacht, die Rolle gespielt, habe mich dabei aber immer beobachtet und mir selbst Regieanweisungen gegeben. Damals wusste ich noch, dass das ein Spiel ist.

Wer beobachtet, wer gibt die Regieanweisungen? Ist das ganze Dilemma vielleicht nur, dass mein innerer Regisseur verkrustet ist und immer nur das ewig gleiche Drama inszeniert? Vergessen hat, dass alles nur ein Spiel ist?

Das kling schon wieder unerhört, ruft alle EF auf den Plan. Spiel? Inszenierung? Wie kannst du nur mit dem Leben so leichtfertig umgehen? Das Leben ist etwas furchtbar ernstes, total schwer und anstrengend und wichtig und bedeutend. Das wird nicht inszeniert und beobachtet und verändert und gespielt.

Ach so? Was wird es denn dann?

Ertragen.

Oh.

Im Gehirn raucht es wieder. Ich beobachte mich, wie ich versuche alles in eine logische Form zubringen. Geht nicht, ich schüttele mich.

Ertragen bedeutet doch, dass man nichts beeinflussen kann, oder?

Genau. Kann man doch auch nicht.

Doch, sich selbst kann man schon beeinflussen. Wie ich mich verhalte, wie ich antworte auf das was geschieht, das kann ich beeinflussen. Das ist meine Freiheit. Ich muss nicht immer gleich reagieren und das dann ertragen. Irgendwann habe ich mich schließlich für diese Reaktion entschieden. Das kann ich auch wieder ändern. Das ist kein lebenslanges Urteil.

Gefühlt kann ich alles sofort ändern. Ich kann mir immer vorstellen wie ich mich fühlen werde. Mein Mann, ein ganz extremer Kettenraucher, hat vor vier Monaten einfach so mit dem Rauchen aufgehört. So unauffällig, dass KEINER, weder ich, noch die Kinder, noch die Mitarbeiter es bemerkt haben. Mich hat er nach drei Wochen darauf hingewiesen, die Mitarbeiter haben es von einem Kunden gehört, dem ich es erzählt habe, sonst hätten sie es bis heute nicht bemerkt.

Er hat mir erzählt, dass er schon vor über einem Jahr damit angefangen hat sich vorzustellen, wie er sich fühlen wird, wenn er von den Zigaretten frei ist, wenn er nicht mehr darauf angewiesen ist sich bei Wind und Wetter und in jeder Situation draußen hinzustellen. Und irgendwann konnte er aufhören.

Ich finde das faszinierend. Auch wenn meine EF das unter Illusion und Vorspiegelung falscher Tatsachen einordnen. Aber die sind ja sowieso gegen alles Leichte, gegen alles Zauberhafte, gegen alles Spielerische, etwas anderes kann ich von ihnen gar nicht erwarten.

Ich stelle mir jetzt vor, wie ich mich fühlen werde, wenn ich dünn bin. Ich spüre mich kraftvoll und leicht, entspannt und energiegeladen, frei in der Auswahl meiner Kleidung, frei mich zu bewegen, viel zu bewegen. Es ist so schwer sich mit all dem Gewicht viel zu bewegen. Dann habe ich wieder mehr Kraft und kann die Geschmeidigkeit und Beweglichkeit meines Körpers mehr genießen, weil ich sie wieder voll nutzen kann, jetzt wird sie vom Fett gestoppt, es kann eben nur bis zu einem gewissen Punkt zusammengepresst werden. Ach, wie ich mich danach sehne, wieder mit der ganzen Kapazität meines Körpers zu dehnen.

So, der Samen ist in die Erde gesteckt und angegossen. Nun wird das Pflänzchen gepflegt bis es groß und stark ist und Früchte trägt. Ich freue mich schon.

Und noch was: das Beobachten bringt interessante Ergebnisse. Eben musste ich auf die Toilette. Da fiel mir auf, dort fühle ich mich immer wohl, immer anwesend, lebendig. Warum? Weil ich es nicht in Frage stelle, nicht anzweifle, nicht überlege ob es richtig oder falsch ist. Ich kann den Toilettengang als Notwendigkeit annehmen und einfach dabei anwesend sein.

Also ist es möglich.

Woher komme ich?

‚Wenn du nicht mehr weißt, wohin du sollst, erinnere dich woher du kommst.‘ Dieses Zitat (von Thomas Sauter, weiß nicht wer das ist) war im Newsletter meines Ausbildungsinstituts.

Wer war ich als Kind? Was war mir als Kind wichtig? Was habe ich gemocht? Wie waren meine Grundzüge? Lebe ich das heute noch oder habe ich mich weit entfernt?

Denn je weiter wir in die Kindheit zurückgehen, desto unverfälschter begegnen wir unserem echten Wesen. Ganz früh ist das, wie wir gemeint sind, deutlich erkennbar.

In einer Übung in der Ausbildung, haben wir unsere motorische Entwicklung nacherlebt. Wir sind zum Zeitpunkt der Geburt zurückgegangen. Ich habe recht bald eine unglaubliche Bewegungsfreude empfunden, ich wollte mehr, ich konnte es nicht abwarten bis der nächste Entwicklungsschritt angesagt wurde, ich musste schneller sein. Ich fühle mich leicht und kräftig. Bewegungen, die mir im jetzigen Leben Mühe bereiten, haben mir am meisten Spaß gemacht. Als die Übung beendet war, und wieder zurückgezählt wurde, bis zum heutigen Alter, konnte ich spüren, wie mit jedem Jahr, das dazu kam, mehr und mehr Gewicht auf meine Schultern geladen wurde, wie ich immer schwerer und schwerer wurde, bis ich mich wieder so schwer und unbeweglich fühlte wie üblich. Ich musste so weinen, weil es offensichtlich war, das ich ganz anders gemeint war, und ich belastet werde, von was auch immer.

Das ist über ein halbes Jahr her, gestern erst kam mir plötzlich der Einfall meine Mutter zu fragen, wie ich denn war.

Ich habe als kleiner Säugling sehr viel und sehr laut geweint, später mich sehr viel und früh bewegt, konnte ganz früh laufen und sprechen und habe das auch ununterbrochen getan. Später hat mich am meisten Bewegung und Kommunikation interessiert. Ich war immer mit den anderen Kindern zusammen und bei meiner Oma war ich die meiste Zeit bei den Arbeitern und habe mich unterhalten. Und grundsätzlich wollte ich immer führen, allen sagen wo es lang geht.

Genau so habe ich mich in der Übung auch gefühlt. Deswegen musste ich die meiste Zeit meines Lebens so viel trainieren, deswegen habe ich mir damals nur Nebenjobs gesucht in denen man nicht in einem Büro herumsitzen muss. Mit der Gastronomie lag ich damals gar nicht so verkehrt, viel Bewegung und viel Kommunikation. Und jetzt lebe ich praktisch total daran vorbei.

Hauptsächlich sitze ich herum und ich spreche außer mit meinen Familie mit sehr wenig Leuten. Ich habe mich verkrochen. Durch die Ausbildung ist das schon etwas aufgebrochen, aber eben nur etwas.

Aber gut, wohin ich gehen soll, liegt noch im Nebel, aber woher ich komme, das ist sehr deutlich geworden für mich. Etwas belastet und beschwert mich immer noch, wenn auch nicht mehr so stark wir früher. Ich werde Stück für Stück fitter und bewegungsfreudiger.

Jetzt verstehe ich auch, warum ich auf dem Biohof, auf dem ich einkaufe, so von einer starken Sehnsucht gepackt werde. Als sei dort das Paradies.

Weil da Bewegung ist, viel Bewegung, viele Menschen, die zu einem kommen, mit denen man so ein wenig ratschen kann und trotzdem ist man der Chef. Das ist enorm wichtig. So war es auch bei meiner Oma, deswegen habe ich mich so stark mit ihr identifiziert.

In meinem Inneren regnet es ‚deswegens‘, eine Erkenntnis nach der anderen. Nur was fange ich damit an?

Ich weiß es nicht, das muss erst sinken.

Der Frosch im Milchfass

Meine jüngste Tochter ist krank und ich kann nicht zur Therapie. Es ist ok, weil ich sie eh nicht mehr so dringend brauche. Andererseits schreit jemand in mir, weil der Trost und die Aufmunterung wegfallen.

Denn das ist Therapie inzwischen für mich, wie Kaffeetrinken, ich merke, sie können mir nicht mehr helfen, sie wissen nicht mehr als ich. Es gab eine Zeit, da war es anders. Es wird immer klarer, dass nur ich mir helfen kann, ich bin jetzt dran. Aber womit? Wie?

Ich stelle zur Zeit alles auf den Prüfstand. Die Therapien brauche ich nicht mehr, aber ich bin noch nicht soweit ganz aufzuhören, und außerdem muss ich meine Pflichtstunden Lehrtherapie zusammenbekommen. Die Ausbildung selbst, na ja, im Augenblick sehe ich darin kaum Sinn, aber die Seminare machen mir viel Freude, meine Mitstudentinnen mag ich gerne, ich kann das durchziehen auch ohne die konkrete Vorstellung was ich danach damit anfange.

Im restlichen Leben schwimme ich, nein ich strample wie der Frosch im Milchfass. Ich mühe mich und mühe mich um das Allerschlimmste an Chaos und Zusammenbruch abzuwenden, aber keine Butter in Sicht. Untergehen ist aber auch keine Option.

Ich habe mir bei der Geschichte immer gedacht, weiterstrampeln ist doch einfach, es ist ein Zwang, es geht gar nicht anders. Einfach aufhören und sich untergehen lassen, das ist schwer, das geht doch gar nicht.

Andererseits, die Butter will ich auch, wann kommt sie denn? Was ist die Butter und ist das überhaupt möglich? Oder habe ich einfach nicht genug gestrampelt? Aufgeben ist einfach keine Option. Für mich. Vielleicht auch für den Frosch. Vielleicht war er nicht besonders stark, besonders hartnäckig und durchhaltefähig, sondern konnte einfach nicht aufgeben, war gefangen im Zwang immer weiterzumachen, es gab da keine Wahl, und wenn die Butter nicht entstanden wäre, dann wäre er irgendwann an Erschöpfung gestorben.

Vielleicht gilt das für alle, die immer weitermachen, sie können gar nicht anders.

Ich muss weitermachen, genau so wie ich Missstände anschauen muss, ansprechen muss. Was ist das Positive daran? Wie meine Freundin neulich fragte?

Das Positive ist, dass ich weiß wo ich stehe und dass ich alles hier an Ort und Stelle unter genau diesen Gegebenheiten meistern muss. Weglaufen ist nicht. Das Positive ist auch, dass die Gefahr sehr gering ist in fantastische Welten abzudriften und mir eine heile Welt vorzumachen, weil meine Wahrnehmung von Unstimmigkeiten und mein Zwang es anzuschauen mich davon abhalten.

Diese Eigenschaften gehören zu meinem ureigenen Wesen, zur Essenz, das weiß ich. Ich kann sie in die Welt bringen aus Angst oder ich kann sie in die Welt bringen aus Liebe.

Wenn die Angst regiert, dann fühle ich mich eingesperrt, verzweifle ich an der Unmöglichkeit zu entfliehen, dann verzweifle ich an allem Negativem das ich wahrnehme, an allen Fehlern, allen schlechten Absichten, allen Unvollkommenheiten, der Welt an sich.

Alles ein alter Hut, altbekannt, mein Alltag. So, und kann ich mich nun mit der Liebe verbinden und das aus einer anderen Perspektive betrachten?

Ja, es geht. Es kommt eine Gewissheit, dass das mein Weg ist, egal wie er ist, es gibt keinen anderen, hier ist mein Platz auf dieser Welt, bei meinem Mann und meinen Kindern, und alles andere ist absolut nebensächlich. Beruf oder nicht Beruf, Haus oder nicht Haus, dick oder dünn, das ist alles nicht von Bedeutung, nur Firlefanz, Beigabe. Und ich sehe einfach alles, ich bin der Wahrheit verpflichtet, ich habe die Fähigkeit alles zu sehen, ich kann den Schatten ertragen, ich kann dem ins Gesicht sehen, nur brauche ich ihn deswegen nicht größer zu machen als das Licht. Die Liebe sagt, es ist wichtig den Schatten zu sehen, und es ist wichtig das Licht zu sehen. Beides macht das Ganze aus. Beides ist wichtig, sagt die Liebe.

Ich darf das Unangenehme wahrnehmen, ich muss es nicht wegblenden, kann ich eh nicht, und ich darf auch das Positive wahrnehmen, ich muss es nicht durch das Negative entwerten, mache ich dauernd. Das sagt die Liebe.

Ich kann mich in mein Leben hinein entspannen, denn es ist genau das richtige Leben. Ich werde niemals fliehen, also geht es darum das hier anzuschauen und mich hier einzurichten, anzukommen.

Jetzt erst fällt mir auf, dass ich noch gar nicht wirklich angekommen bin. Ich habe das auf später verschoben, wenn alles irgendwie besser, leichter, schöner ist. Aber das wird es nicht. Es ist so wie es ist und für mich gibt es kein Weglaufen, das kann ich nicht oft genug wiederholen, denn bisher war es mir nicht bewusst. Und das kommt aus keiner EF, es ist mein Wesen, das ist gewiss.

Und zu meiner Überraschung ist es total entspannend. Es gibt nichts zu verbessern an meinem Leben, nichts worauf ich warten muss, nichts was ich erreichen muss. Es ist einfach und hier gehöre ich hin. Ende.

Vollkommen?

Auf frischer Tat ertappt. Hänge im Internet sinnlos rum. Eine 30minütige Leerzeit in meiner To-Do-Liste, weiß nicht was tun.

TD für 10 Minuten:

Nichts, nichts, Leere, Leere.

Spannung im Kopf.

Ich weiß nicht was ich tun soll. Zur Küche habe ich keine Lust. Yoga lohnt sich nicht, zu kurz, vielleicht Karten legen, oder Schokolade essen.

Was soll mir das alles geben?

Mich über dieses Nicht-Sein hinwegtäuschen.

Wir fühlst du das?

Ich weiß nicht.

Was fühlst du denn jetzt?

Nichts.

Wirklich?

Es zwickt in der Muskulatur hier und da, meine Füße werden heiß. Ich werde von etwas zusammengepresst und nach unten gedrückt, in der Mitte des Körpers ist ein Gewicht, eine schmerzende Stelle.

Darf das sein, darf das sein, dass ich mich einfach merkwürdig fühle, dass ich es nicht erforschen kann, verbessern kann, verändern kann, dass es einfach so ist?

Was wäre, wenn wirklich alles vollkommen wäre, so wie es ist, genau so wie es ist?

Dann wäre mein komischer Nicht-Zustand auch vollkommen.

Kaum auszuhalten. Nein! So soll es nicht sein! Das will ich nicht!

Ja, und was wäre, wenn auch diese Stimme, die das nicht will vollkommen wäre? Genau so?

Wenn wir einfach mal diese Annahme machen, wenn wir einfach mal dem Leben und seinen guten Absichten vertrauen?

Das ist ja ein totaler Scheiß! Dann gäbe es ja nichts worüber wir uns noch beschweren können, worüber wir uns ärgern können, wogegen wir sein können.

Ja und was wäre, wenn auch das vollkommen wäre? Bis in die Unendlichkeit vollkommen. Alles dagegen, alles Blöde, alles Gute, jeder Widerspruch, jede schlechte Laune, jede gute Laune, jede Magenverstimmung, jeder Essanfall, jedes Gewicht, jedes Durcheinander, jede Ordnung, egal was, alles vollkommen, weil es eben ist.

Wenn es nicht noch irgendwie werden muss, erreicht werden soll, dazu gemacht werden muss, sondern es einfach ist und schon immer war und immer sein wird.

Absurd, sagt der Kopf.

Endlich Ruhe, sagt das Herz.

Der ganze Körper prickelt.

Die Zeit ist um. Nächster Punkt auf der To-Do-Liste ruft.

Was wäre, wenn alles genau so wie es ist, vollkommen wäre? Diese Frage soll mich durch den Tag begleiten.

Die Auster

Ich schaue auf die Frau, die den heutigen Tag erlebt hat. Ich sehe sie am Tisch sitzen, im Gespräch mit einer Freundin, ein sehr schönes und offenes Treffen, und trotzdem, sie schwebt, sie ist nicht verbunden, sie ist sogar so weit weg, dass sie ständig was nachschieben will um diese zappelige Schwebe zu beenden. Um sich zu erden, um zur Ruhe zu kommen. Wie ein Sprinter vor dem Start, aber ein unruhiger, wartet sich sonst angespannt auf….ja auf was denn eigentlich?

Ich merke ‚weg-sein‘ ist mein oberstes Prinzip, mein ‚immer-greifbar-Modus‘. Wenn ich nicht absolut bewusst da bin, dann bin ich weg. Dann schließe ich mich wie eine Auster von der Welt ab, ich ziehe alle meine Sinne ab, ich rieche nichts mehr, ich höre nichts mehr, ich spüre nichts mehr, weder äußerlich noch innerlich, und irgendwann sehe ich nichts mehr, oder nur das allernotwendigste, ich blende aus was sich nur ausblenden lässt.

Und ja, am allerbesten kann ich mich innerlich spüren, durch die jahrelange Übung, ist das inzwischen mein wachster Sinn. Oder vielleicht war es das schon immer. Nur wusste ich nicht was ich damit anfangen soll. Ich hatte aber seit ich mich erinnern kann so ‚Gefühle‘.

Na gut, und jetzt? Je stärker die Ablenkung, desto programmatischer also das automatische Ausblenden. Die Hinbewegung zur Nulllinie.

Ich wollte im Moment anwesend sein. Praktisch nicht machbar, so weit bin ich davon entfernt. Gerade will meine jüngste Tochter meinen Schreibtisch mit Bändern dekorieren. Ich sage irgendwas, Hauptsache sie macht schnell und lässt mich wieder in Ruhe. OH.

Ich versuche mich zu öffnen, den Panzer durchlässig zumachen. Ich spüre die Berührung, ich spüre ihre Begeisterung. Es fällt mir schwer. Ich fürchte mich vor der Intensität meiner eigenen Sinnesempfindungen. Als seien sie gefährlich.

Sind sie gefährlich? Nein, sagt die Stimme, du bist er nur nicht gewöhnt, so viele Jahrzehnte hast du versucht dich unempfindlich zu machen, das braucht einfach Zeit und Übung. Anders geht es nicht. Aber das wird, ganz sicher. Deine inneren Körperwahrnehmungen kannst du inzwischen sehr gut halten, nun kannst du dich der äußeren Welt zuwenden.

Springen

Immer noch schwierig. Sogar so, dass ich gar nicht essen mag, nichts schmeckt mir, ich mag auch nicht kochen, bin total hungrig, aber essen ist mir ein Graus. Das ist zumindest neu.

Was ist? 10 Minuten

Überempfindlichkeit. Alles zu laut, zu hell, jede Unterbrechung unerträglich.

Was macht es unerträglich?

Ich kann nicht versinken.

Worin?

In meinen Zustand.

Das verstehe ich nicht.

Ich möchte meine Ruhe haben und mit niemandem sprechen.

Sonst?

Sonst kann ich nicht denken.

Ach? Und du musst denken? Worüber?

Ja, merkwürdig, gerade dieses Gedankenkarussell zieht mich ja so runter, und da soll ich auch noch drin bleiben, das System will jedes Aussteigen verhindern.

Sonst?

Sonst könnte es ihr gut gehen. Sonst könnte sie es leicht nehmen. Sonst könnte sie einfach auf den Moment aufsteigen und ihn erleben so wie er ist.

Ja und das darf nicht sein?

Nein, das ist verboten, das darf nicht sein.

Aber es ist möglich, verstehe ich dich richtig?

Ja, möglich ist es schon, aber es wäre falsch.

Puh, das ist so ein Kernglaubenssatz, mich fröstelts schon, ich bin gespannt ob ich da weiter dahinter komme. Wieso wäre es falsch? Was würde dann passieren?

Dann würde sich sich was vormachen, sich belügen, das Negative ignorieren.

Hm. Es geht doch darum dem Moment zu folgen, oder?

Stimmt.

Der Moment ist doch nicht automatisch positiv, oder?

Nein, das nicht.

Ja, was spricht denn dagegen?

Wenn der Moment sie vom Negativen wegzieht, dann beachtet sie es zu wenig.

Ach, aber vom Positiven darf sie weggezogen werden?

Ja, das ist nicht so wichtig.

Verstehe ich es richtig, dass du möchtest, dass sie dem Moment zugunsten des Negativen nicht folgt, also im Negativen verharrt.

Wenn du es so ausdrücken willst, ja, genau.

Und wie lange?

So lange bis es nicht mehr da ist.

Und wie soll das geschehen?

Indem sie es restlos bearbeitet hat, bis es sich aufgelöst hat.

Oh. Sie darf nicht dem Fluss folgen, nach dem Regen kommt die Sonne usw.?

Ne, wenn es regnet, dann muss sie sich auf den Regen konzentrieren, ergründen, warum der Regen problematisch ist, versuchen das aufzulösen, versuchen zu verhindern, dass er immer noch problematisch ist und dann erst kann sie sich der Sonne zuwenden.

Und wenn die Sonne in der Zwischenzeit schon lange wieder scheint?

Nix da. Erst wenn die Arbeit erledigt ist.

Sonst?

Sonst macht sie womöglich etwas falsch, übersieht etwas, vergisst etwas.

Und dann?

Dann weiß ich nicht, Katastrophe halt.

In meinem Kopf verknoten sich gerade die Gehirnwindungen. Der Versuch alles auseinander zu sortieren und einzuteilen überfordert mich. Irgendetwas widerspricht sich.

Es ist wichtig die innere Arbeit zu machen.

Es ist aber auch wichtig, vielleicht noch wichtiger, das Leben zu erleben wie es kommt.

Eine Ef will mich auf die typisch perfektionistische Art zu innerer Arbeit bis alles perfekt ist verdonnern. Ok, das ist extrem.

Aber wann ist es wichtig und wann nicht? Wer sagt mir das? Was ist innere Arbeit überhaupt? Ist das überhaupt wirklich gut herumzusitzen und zu hinterfragen während die Kinder mich ständig etwas fragen und einfach mit mir reden wollen? Ist das dann keine Flucht vor dem echten Leben? Flucht in die Abgeschiedenheit und Weltentrücktheit der inneren Arbeit?

Ist das Hinterfragen vielleicht zu einer weiteren Sucht geworden? Eine weitere Art allem zu entfliehen? Nicht wirklich leben zu müssen?

Ich schaffe mir unzählige Gelegenheiten dem Leben zu entfliehen. Innere Arbeit, Yoga, schlafen, oder auch mich im Gedankenkarussell verlieren, im Ergebnis bedeuten sie alle dasselbe: ich drück mich vor dem Alltag, mein eigentliches Leben. Und als weiteres Ergebnis fühle ich mich schrecklich, weil ich mein Leben unerträglich finde, ich bin ja gar nicht anwesend, sondern nur auf der Flucht. Ein vergifteter Kreislauf.

Es ist klar wie Quellwasser. Genau so ist es. Boah. Wir trickreich, alles, aber auch wirklich alles wird dazu benutzt um zu fliehen.

Es liegt nicht an den Dingen, Yoga ist gut, innere Arbeit ist gut, schlafen ist auch gut, aber nur zur rechten Zeit und nicht als Flucht.

Und das Gscherte dabei ist, ich fühle mich dabei auch noch so gut, habe dem Diktator genüge getan und brav den Plan abgearbeitet. Aber anwesend war ich dabei nicht, also oft. Nicht immer.

Und jetzt, wenn ich mir vorstelle damit aufzuhören, auf der Stelle, und mich meinem Leben zuzuwenden, dann kommt nichts. Was soll ich dann tun? Leere überall. Was soll das sein? Ich mache Sport und ich mache innere Arbeit und alles andere ist ja kein Leben, das sind blöde Störungen, die mich von Leben abhalten. Ach so, da wäre ja noch das Essen, aber das ist zur Zeit auch nicht so verlockend. Und schlafen, auch eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.

Das Leben hat mich hier hingestellt, umgeben von 6 Menschen und 2 Hunden und ich weiß nichts mit ihnen anzufangen. Nicht wirklich. Ich arbeite das Allernotwendigste ab, bis ich mich wieder in mein inneres Kloster begeben kann.

Und gleichzeitig ist eine so starke Sehnsucht in mir in meinem Leben endlich vorhanden zu sein.

Ich höre eine Stimme: ‚Du musst nicht mehr lesen wie es geht, du musst nicht mehr groß dieses oder jenes aufdecken, es ist an der Zeit einzutreten und das Leben auch zu erfahren, nicht nur darüber lesen oder darüber nachdenken oder solch Trockenübungen machen wie die innere Arbeit in der Abgeschiedenheit. Das war alles sehr wichtig zu seiner Zeit, aber diese Zeit ist für dich vorbei. Jetzt bleibt nur noch das Springen, alles andere ist getan. Du wirst nicht weiterkommen, du wirst nicht erleben wie es ist, wie es sich anfühlt, solange du es nicht tust.‘

Ja, tun, ok, tun, aber was denn? Was denn tun?

‚All diese Programme und Übungen Programme und Übungen sein lassen und endlich einfach leben. Ok ich weiß, genauer, bleib mit deinen ganzen Sinnen bei dem was du tust, Ende. Mehr gibt es nicht, der Rest kommt von allein.‘

Oh, je, das klingt unmöglich, ich werde es machen so weit es geht.

Natürlich, es geht immer nur so wie es geht, und das ist vollkommen.

Der Vater

Ich habe vorhin eine Übung von Michael Brown gemacht.

Sich ein Bild des Vaters vor dem inneren Auge führen und mit allen Gefühlen sein, die auftauchen. Ein inneres Bild habe ich nicht hinbekommen, deswegen habe ich ein Foto genommen.

Und sobald ich meine Augen darauf gerichtet habe, schon fing mein ganzer Körper an zu zucken, ein Schmerz schoss in meinen rechten Fuß, das ist der Fuß dessen Sehne gerissen ist, und der seitdem immer noch nicht richtig gut ist, danach wurde der Fuß taub und fast gleichzeitig fing er an stark zu kribbeln. Ich war völlig überrascht von all dem, hätte ich nie vermutet.

Nach ungefähr 6 bis 7 Minuten beruhigte sich das langsam und ich kam in eine Trauer, eine Trauer ohne Worte, erst habe ich versucht sie zu verstehen, aber es fühlte sich an als würde ich mich dabei verknoten, also habe ich das gelassen und nur gefühlt. Zwischendurch bemerke ich Essdruck, ich musste nicht folgen, es war klar ein Fluchtversuch.

Nach weiteren 6 bis 7 Minuten spürte ich Mitgefühl für die Tragik seines Lebens, für das Gefängnis in dem er sich befindet.

Und erst dann, nach knapp 15 Minuten, bemerkte ich dass er auf dem Foto ganz genau die gleiche Handhaltung hat, die für mich recht typisch ist. Das hat mich sehr mitgenommen und in mir stieg die Frage auf wofür? Wofür bekam ich diesen Vater? Diesen total zerstörten, in seinem unermesslichen Selbsthass gefangenen Menschen?

Michael Brown sagt, dass die Empfindungen die wir gegenüber dem Vater haben, die Einstellung spiegeln, die wir gegenüber unserer inneren Führung haben. Also unsere Fähigkeit uns selbst durch diese Welt zu führen. Solange diese Empfindungen nicht integriert sind, werden wir nach jemandem suchen, der uns sagt, was wir tun sollen.

Hm, das muss ich erstmal wirken lassen. Aber nichtsdestotrotz, die Reaktion war heftig. Ich stelle noch mal die Frage: Wofür war dieser Vater gut?

Dieser Vater hat mit aller Härte versucht, deine innere Stimme zu töten, dich völlig von dir selbst zu entfernen, alles auszulöschen, was ihm nicht gepasst hat. Und das war viel. Er wollte dich zum Schweigen bringen. Aber es ist ihm nicht gelungen, nicht vollständig, die innere Führung war stärker.

Ich fühle gerade, dass viele Dinge die ich für meine halte, gar nicht meine sind, sie gehören zu ihm. Diese Handhaltung, das Essen, der Hass, die Verweigerung. Das hat sich in mich hineingeschlichen. Es ist nicht meins!

Ich stehe staunend da, mit offenem Mund, als hätte jemand einen Schleier gelüftet. Ich habe jetzt den freien Blick, aber ich habe noch nicht hingeschaut. Ich kann auf alles ganz neu blicken und herausfinden ob das meins ist oder nicht.

Dieses ganze Konglomerat, das ich ICH nenne, erscheint mir jetzt als eine völlig unerforschte Kiste völlig spannender Schätze, die es alle noch zu entdecken gibt und voller Altlasten, die es zu entsorgen gibt.

Wenn diese Handbewegung gar nicht zu mir gehört, oh mein Gott, welche Freiheit tut sich da auf, allein diese Möglichkeit, dass ich nicht alles einfach auf mich lade, was da ist, alles bereitwillig als Last auf meinen Rücken schnalle, ist so umwerfend, dass auf einmal das ganze Zimmer im hellen Licht erstrahlt.

Ich will nicht!

Viel mehr als mit Angst, bin ich diesmal angesichts der anstehenden Aufgaben mit totalem Unwillen in Kontakt.

Ich habe gestern die Frage gestellt: ‚Was steckt hinter diesem Unwillen?‘ und während ich gerade kopfüber hing und das Blut in meinen Kopf floss, wusste ich plötzlich, dass ich nicht grundsätzlich nichts tun will, sondern nur dann wenn ich das Gefühl habe ich diene. Dienen ist mit totalem Widerstand belegt, auch mir selbst dienen. Ich hasse mich selbst genau so als Teil der Welt und will mir keinen Gefallen tun. Dieser Teil will nichts und niemandem etwas Gutes bringen, und wenn es droht unabsichtlich zu passieren, dann zerstört er das noch irgendwie.

Mein ganzer Körper schreit: ‚Ich will nicht‘, ist ein einziges ‚ich will nicht‘. Da sitzt ein kleines Mädchen in meiner Mitte, das hat ein Nachthemd an, sitzt auf dem Boden, trommelt mit den Füßen, hat die Finger in den Ohren, die Augen zugekniffen und schreit.

Was ist mir dir?

ICH WILL NICHT!

Ja, das habe ich verstanden, was willst du denn nicht?

Sie hört auf zu trommeln, lässt die Hände sinken und macht die Augen skeptisch einen winzigen Spalt auf. ‚Das alles hier‘

Weißt du Kleine, ich würde wirklich gern verstehen was du meinst, ‚das alles‘ ist sehr ungenau. Meinst du dein Nachthemd?

‚Nein!‘

Das Zimmer

‚Nein!‘ verdreht sie sie Augen ‚Ich will mich nicht so fühlen!‘

Wie fühlst du dich denn?

‚Scheiße!‘

Oh, so etwas habe ich mir gedacht, aber geht es noch genauer?

‚Ich fühle mich als wäre in meinem Inneren ein Vulkan kurz vor dem Explodieren und ich gleichzeitig in einer Presse stecke, die mich von allen Seiten zusammendrückt.‘

Das klingt ja nicht gut.

‚Sag ich doch, gefangen, kann weder explodieren noch verschwinden, muss in der Hölle bleiben‘

Weißt du, wie du in diese Lage geraten bist?

‚Für mich ist in dieser Welt kein Platz an dem ich mich wohlfühlen kann, sein kann.‘

Ich setze mich neben sie und nehme sie in den Arm. ‚Ich bin so müde von dem ganzen Kampf, ich möchte hier nicht mehr sein.‘ Sie rollt sich zusammen und schläft ein.

Ich werde vollständig in die graue Schattenwelt eingesogen, Hier gibt es nichts, nur grau. Und das Grau ist zäh. Macht schwer und müde und aussichtslos.

Ich versuche mich zu bewegen aber ich komme nicht vom Fleck, meine Energie schwindet rapide. Ich kann nicht mehr, ich lasse mich zu Boden sinken. Der Boden gibt nach, er wird zu einem Netz, das nach unten durchhängt, nach unten in das Universum. Da unten ist es dunkel und kalt mit Sternen.

Ich schmelze durch das Netz hindurch und schwebe durch das Universum wie ein Einzeller im Wasser. Irgendwie unrund und planlos. Ich schaue mich um, es ist überall schrecklich, ich weiß nicht wohin, ich weiß nicht wohin, ich weine, da ist es zu heiß, da ist es zu grau, da ist es zu kalt, überhaupt ist es hier fremd und hässlich, ja fremd und hässlich und ungastlich. Wie soll ich mich hier jemals wohlfühlen? Was soll das Ganze hier? Kann mir das mal jemand sagen?

In meinem Magen ist ein Strudel, als würde ich in ein schwarzes Loch hineingesogen.

‚Ich will, dass es mir gut geht!, das kleine Mädchen ist wieder wach, sie steht und stampft dabei mit einem Fuß auf den Boden. ‚Ich will, ich will, ich will, es soll mir endlich gut gehen!‘

Ich habe nicht die geringste Ahnung was ich tun soll. Ich schaue ihr einfach zu, wie sie mit dem Fuß stampft und ‚ich will, ich will‘ schreit. Sie kommt näher, mit dem Gesicht vor mein Gesicht und sagt: ‚Hallo, hörst du denn nicht zu? Ich will dass es mir gut geht!‘

Doch, ich höre, aber ich weiß nicht was ich da tun kann.

‚Hör mir einfach zu! Ich will dass es mir gut geht, ich habe ein Recht darauf dass es mir gut geht, es ist nicht richtig dass es mir schlecht geht, es ist nicht richtig, verstehst du?‘

Ja, das stimmt, es ist nicht richtig, man hat dir unrecht getan. Man hat dir ein Unrecht angetan. Es war falsch, du hast das nicht verdient. Niemand verdient so etwas. Ich nehme sie in den Arm und murmele vor mich hin: ‚Man hat dir großes Unrecht angetan‘, immer und immer wieder will sie das hören. Wir weinen.

Ich bin total erschöpft, der Vulkan und die Presse haben nachgelassen. Die tiefe Traurigkeit ist da, aber ich kann einigermaßen mit ihr sein.

Hallo Wut

Hola, kein Wunder, dass sich mein Aberglauben hartnäckig hält. Kaum rede ich davon, dass ich schon lange keine Wutanfälle hatte, schon kommt einer um die Ecke.

Es musste aber nur ein Glas dran glauben und nicht der gesamte Spülmaschineninhalt wie früher. Aber diese Wut, diese ohnmächtige Wut war wieder da. Das Ausgeliefertsein, die Ungerechtigkeit.

Der Ungerechtigkeit ausgeliefert sein. Im Wutanfall habe ich das ganze Chaos aufgeräumt, geweint und versucht dieser Wut näher zu kommen.

Es ist trickreich, da ist zuerst Überforderung, dass es so viel, ist, dass ich es niemals schaffen werde, dann kommt die Ungerechtigkeit, dass ich das allein machen soll, und dann kommt der Widerstand, ich will es gar nicht schaffen, ich will es nicht machen selbst wenn ich kann, ich will und will und will nicht. Weil es ungerecht ist. Damit bin ich weiter gegangen, das sabotiert alles.

Ich fand ein Kind, dass die ganz Welt hasst, inbrünstig hasst, sie möchte alle vernichten, quälen, sich rächen. Ich habe diesen Hass verkörpert, blinde Wut und Rachegelüste, weil sie so unrecht behandelt wird und nichts dagegen tun kann. Also hasst sie die ganze Welt. Weil die Welt so gemacht ist, dass so etwas möglich ist.

‚Es ist eine blöde, beschissene, böse Welt, ich hasse alle, sie sollen alle leiden so wie ich.‘

Ich umarme es innerlich, auch dieses Kind gehört zu mir, ob es mir passt oder nicht. Ich kann die tiefe Verletzung und Ohnmacht spüren. Es wusste immer schon, dass alle Unrecht haben, dass das was sie von ihr verlangen falsch ist, dass nichts an ihr verkehrt ist, dass das, was sie ihr abgewöhnen wollen aber ihr ureigenstes Wesen ist, aber alles strampeln nutzte nichts, niemand nahm sie ernst, niemand verstand etwas. Sie beharrten nur stur auf ihre Blindheit.

Und da entstand der Hass und die blinde Wut. Die werden niemals nachgeben, niemals entsprechen, Rache steht auf die Fahne geschrieben, alle sollen leiden, sie wird niemandem gefällig sein. Niemals.

Sie beruhigt sich langsam. Erschöpft lässt sie sich in die Ecke sinken. Sie akzeptiert mich, sie spürt, hier darf sie sein.

Und ich? Ich habe ein Stück mehr verstanden was mit mir los ist. Ich konnte wieder ein wenig Biographie aus dem Heute entwirren. Heute existiert diese Ungerechtigkeit gar nicht, aber früher war sie real. Und diese Kleine, die so sehr hasst, sie gehört auch zu mir, ist auch eine Farbe.