Mein Tag mit der Sehnsuchtsmutter Teil 2

Wieder aufgestanden, bin nicht eingeschlafen, ein wenig ruhen war auch gut. Hausaufgabenzeit. Für mich die größte Herausforderung. Ich kann kaum dahinter stehen. Das rebellische Schulkind hat da die Oberhand.

Aber die Sehnsuchtsmutter weiß, dass es hier nicht um Rebellion geht. Es geht darum die Kinder zu unterstützen. Und wenn die Hausaufgaben gemacht sind und wenn auf die Proben gelernt ist, fühlen sich alle besser, vor allem die Kinder. Ich kann mich gut drum kümmern und währenddessen mache ich ein wenig Sport.

War auf dem Fahrrad und noch eine halbe Stunde Yoga hinterdrein weil es so schön war. Währenddessen Hausaufgaben kontrolliert. Es geht beides. Die Sehnsuchtsmutter kann Unterbrechungen und Unübliches akzeptieren, weil sie weiß, dass sie sonst entweder auf etwas verzichten muss oder die Kinder nicht genug Unterstützung bekommen, da ist es logisch auf die Vorstellung zu verzichten wie etwas ablaufen soll, z. Bsp. Sport. Man kann durchaus während dem Fahrradfahren oder dem Dehnen beim Yoga in die Hefte schauen.

Die Sehnsuchtsmutter bemerkt wenn sie im Stehen aus dem Topf isst, sie fragt sich ob sie Hunger hat und nachdem das bejaht ist, erlaubt sie sich im Sitzen zu essen, es gibt keinen Grund zu stehen, auch wenn sie gerade die Küche aufräumen wollte, vom im Stehen essen wird nichts besser.

Sie fühlt sich für ihre Umgebung verantwortlich, sie bemerkt dies und jenes und verbessert es, es geht im Vorbeigehen, Voraussetzung ist hinzuschauen.

Sohn schlampt sein Zeug nur so hin. Wut und Verzweiflung. Der Essdruck kommt, nächster Schritt Kühlschrank.

Doch was macht die Sehnsuchtsmutter? Das hatte ich nicht erwartet, aber sie merkt, dass die gerade nicht handlungsfähig ist, sie nimmt sich Zeit, setzt sich kurz hin und fühlt die Gefühle, die da sind, Wut, Verzweiflung, nicht wissen was sie tun soll. Nach kurzer Zeit ist die Welle vorübergegangen, so ist es eben, ich kann verstehen, dass er keine Lust hat. Morgen muss er diesen Teil eben nochmal machen.

Zeit den Küchendienst anzutreten. Widerstand. Übliche Taktik wird ausgepackt: Verzögerung. Prokrastinieren bis nichts mehr geht, bis nur noch das Nötigste gemacht werden kann.

Hier ist die Sehnsuchtsmutter bitter nötig. Kann ich es anders sehen? Ich verbinde mich.

Es steigt ein warmes Gefühl auf, eine Ruhe, die Sehnsuchtsmutter ist fest in ihrem Leben verwurzelt, sie weiß, dass es dazugehört und ihre Aufgabe ist. Dass, wenn sie es nicht macht, das Chaos unüberblickbar wird was für alle, auch für sie, schlimm ist. Sie weiß, dass es keinen Grund wie Krankheit oder so gibt, warum sie das jetzt nicht tun kann.

Die Motivation kommt zurück, ich kann weitermachen.

Habe gekocht, die Küche aufgeräumt und bei lauter Musik dabei getanzt, während die Kinder dazu mit ihren Hüpfbällen im Kreis gesprungen sind und lauthals gekreischt haben. Das war gar nicht wie Hausarbeit. Weiß gar nicht warum ich das nicht öfter mache. Aber so etwas fällt eben nur der Sehnsuchtsmutter ein.

Vor dem Essen ist mir noch eingefallen mich zu fragen was sie jetzt machen würde, sie würde kurz innehalten und sich verbinden bevor sie anfängt zu essen.

Ich habe trotz allem etwas zu viel gegessen. Ich bin gut satt. Wäre gern aber ein wenig leerer. Als es soweit war wollte ich nicht aufhören.

Die Sehnsuchtsmutter findet das in Ordnung. Sie ist gern abends richtig satt. Sie ist immerhin noch gute 5 Stunden wach und morgen isst sie erst am späten Vormittag etwas. Was soll daran verkehrt sein.

Na ja, ich wollte eigentlich leerer sein. Ich muss ihr aber recht geben, das ist für mich letztlich nicht passend. Vormittags und mittags nur ein wenig, aber abends will ich richtig satt sein. Das entspricht meinen Körper. Damit fühlt er sich wohl.

Irgendein Diätfuzzi will mir das madig machen, aber mit der Sehnsuchtsmutter an meiner Seite kann ich für mich gehen.

Der Rest des Abends (mit Kindern) war noch zäh. Ich konnte einfach nicht mehr. Aber auch hier gab es eine andere Art darauf zu blicken. Statt wie sonst in eine Wut hineinzukommen, weil ich nicht mehr kann aber noch muss, konnte meine Sehnsuchtsmutter einfach freundlich auf die Erschöpfung blicken, sie sich erlauben und damit konnte sie gleichzeitig viel sanfter zu den Kindern sein, alles lief einfacher und sparte auch noch Kräfte.

Das Experiment hat sich gelohnt. Es ist möglich eine andere Brille aufzusetzen, die Brille, die mir gut tut, die Brille, die mich nährt. Ich habe die Wahl, tatsächlich. Eine viel umfassendere Wahl als ich jemals für möglich gehalten hatte.

Das freie, heile, unabhängige Ich weiß genau wie es geht, das Leben. Es gibt einen Anteil in mir der mitten im Leben steht und alles nimmt was kommt, mit Freude und Liebe. Und ich kann mit genau diesem Anteil Verbindung aufnehmen. Der Wahnsinn!

Mein Tag mir der Sehnsuchtsmutter Teil 1

Die ersten zwei Stunden des Tages sind geschafft, alle Kinder zur Schule und in den Kindergarten gebracht.

Und ja, es macht schon einen Unterschied.

Aufstehen ist so schwer wie immer, aber, anstatt den Gedanken zu folgen, die sagen, dass alles so ungerecht ist, dass das blöde Schulsystem schuld ist, dass der Tag zur Hölle wird usw. und so fort, konnte ich den Blickwinkel meiner Sehnsuchtsmutter aufgreifen und verstand, dass es jetzt gilt einfach aufzustehen. Das ganze tägliche Gejammer ändert ja rein nichts an der Situation.

Diese Mutter ist weit mehr als ein Sehnsuchtsbild, sie ist ein Teil von mir, mein glückliches, heiles, unabhängiges Ich. Ich spüre eine warme und tiefe Verbindung zu ihr, mein Leben bekommt einen neuen Glanz, wenn ich durch ihre Augen schaue.

Ich konnte meinen Fokus ändern von ‚hoffentlich machen alle mit und es gibt keine größeren Katastrophen‘ zu ‚ ich möchte für mich und für die Kinder eine möglichst angenehme Zeit‘. Die Folge war eine ganz sanfte Änderung meiner Stimmung und damit der Gesamtstimmung. Alles war einfacher, leichter, entspannter und als Krönung auch noch pünktlich. Ich habe es in diesem Schuljahr erst ein oder zwei Mal geschafft montags pünktlich in der Schule zu sein.

Sicher, die übliche Brille schiebt sich dauernd in den Vordergrund. Ich bemerke sie wohlwollend und schaue was die Sehnsuchtsmutter dazu sagt. Ich habe übrigens versucht ihr einen anderen Namen zu geben, aber das geht nicht. Nur genau dieses Wort hat die Kraft mich mit dem freien, heilen Teil in mir zu verbinden.

Ach ja, ich habe heute vor der Schule zwei Mütter angesprochen und mich für etwas bedankt bzw. habe ihnen ein Kompliment gemacht. Normalerweise habe ich diesen Impuls, bin darüber aber so beschämt, dass ich alles versuche um ihnen auszuweichen. Es war nicht schwer, es war sogar schön. Ich fühlte mich hinterher wohl. Diese ganze automatische Beschämung macht keinen Sinn.

Nächste Herausforderung: Konto. Die Leute zahlen einfach nicht, sie sind wohl alle pleite. Das verschärft unsere Situation zusehends. Was mache ich normalerweise? Ich versinke in Phantasien von einem Eremitendasein in Kanada, wo wir kein Geld brauchen, unser eigenes Holz hacken und unsere eigenen Fische fangen. Ich finde dann schnell alles hier unerträglich und da ich aber nicht weg kann und es auch keine echte Option ist, muss ich essen oder mich anderweitig wegbeamen.

Wie sieht das meine Sehnsuchtsmutter? Sie ist sehr traurig über diese Situation, ihr macht es auch zu schaffen, sie erlaubt sich zu weinen, um dann ein tiefes Gefühl des Vertrauens in sich zu spüren, die Gewissheit, dass sich das lösen wird, dass sie auf irgendeine Art Hilfe bekommen wird. Und auch die Gewissheit, dass sie ihren Teil der Arbeit absolut erledigt hat. Sie hat alle fälligen Zahlungen und Rechnungen absolut im Blick. Sie hat nicht weggeschaut, nein sie hat hingeschaut.

Und nun sagt sie mir, dass es Zeit wird dem Schreiben ein Stopp zu setzen um sich der fälligen Hausarbeit zu widmen.

Puh, der schwerste Moment. Sofort will ich nicht, aber so was von nicht. Igitt, die blöde Wäsche, nein, nein, nein.

Ich verbinde mich wieder aktiv mit ihr und spüre den Unterschied. Eine ruhige Gewissheit, dass manche Dinge einfach getan werden müssen, dass das zu ihren Aufgaben gehört und sogar eine gewisse Freude darüber, die Dinge in Ordnung zu bringen.

Es ist schön hier zu sein, bei meiner Sehnsuchtsmutter, bei dem Teil, der gnädig, liebevoll und frei ist. Sie weiß genau, dass es das Allerwichtigste sich gut um sich zu kümmern, damit man sich gut um andere kümmern kann. Wenn sie eine Pause braucht, dann kann sie sich eine nehmen.

Und, die Email der Schwiegermutter triggert wie immer, aber sie kann es sein lassen, sie kann sehen, dass sie eben ist wie sie ist, dass das nicht bedeutet, dass sie mir ihr einer Meinung sein muss, und dass es auch Gutes gibt, wie dass die Kinder wieder eine Garnitur Kleidung bekommen.

Ich spüre einen sehr starken Drang, das Experiment abzubrechen und in meine Wegdriftwelt abzutauchen. Aber ich weiß wie es dort ist, nichts zu entdecken, nichts was mich nährt kommt dabei heraus.

Wie sieht sie das? Sie wendet sich sofort nach innen, sie schaut was ihr fehlt oder was sie braucht. Und das reicht sogar. Bei sich sein, die Verbindung wieder aufnehmen, das wohlige Wärmegefühl kommt zurück, der nächste Tagesordnungspunkt wartet, Kinder abholen.

Erstes Kind abgeholt. Kurze Pause vor dem nächsten. Ich habe starke körperliche Reaktionen, Hitze, Magenzusammenziehen, Schwindel.

‚Das erlauben wir nicht, du kannst nicht einfach beschließen die Welt durch andere Augen zu sehen. Schluß mit dem Schmarrn.‘

Wieso nicht?

‚Weil das nicht geht.‘

Aber es geht doch.

‚Nur weil wir es zugelassen haben. Jetzt reicht es uns.‘

Ihr? Wer seid ihr?

‚Wir sind das was bisher war. So soll es bleiben.‘

Warum?

‚Weil es immer so war. Das ist bekannt.‘

Ging es ihr denn gut mit euch?

‚Ne, zum Schluß nicht mehr, aber das ist der Preis.‘

Der Preis wofür?

‚Fürs Überleben.‘

Ist das nicht ein wenig sinnlos, dass sie überlebt um sich für den Rest ihres Lebens scheiße zu fühlen?

‚Na ja…ähm.‘

Meint ihr nicht auch, es wäre ein Versuch wert, sich mit dem freien, liebevollen unabhängigen Teil zu verbinden?

‚Naja… na gut, vielleicht.‘

Puh, der Zugang ist wieder frei, ich kann mich wieder verbinden. Sofort wird es warm und weich, die Härte schmilzt dahin. Die Schmerzen dürfen einfach sein, auch das Unwohlsein, der Schwindel. Inzwischen wird es immer klarer wie die Verbindung zustande kommt, es ist die Verbindung mit dem Herzen, mit der Liebe. Ich halte die Schmerzen liebevoll im Arm und gehe los das nächste Kind abholen.

Zurück. Die Schmerzen haben nachgelassen, ich bin ganz schön erstaunt wie stark das System reagiert. Bei ihnen zu sein fühlt sich liebevoll und entlastend an, egal wie stark sie sind.

Den Tag mir meiner Sehnsuchtsmutter zu verbringen schärft meine Aufmerksamkeit. Es fällt mir auf, wie stark ich immer wieder reagiere. Gerade im Kindergarten: ich habe meine Tochter vor dem Mittagessen abgeholt, weil sie es so wollte. Das ist in diesem Kindergarten alles möglich, trotzdem habe ich einen missbilligenden und genervten Blick der einen Erzieherin aufgefangen. Sofort fühle ich mich schlecht. Vielleicht galt er gar nicht mir, egal.

Schlecht, wie genau? Ich schäme mich, weil ich sie störe.

Ich verbinde mich. Wie sieht die Sehnsuchtsmutter das? Kann sein, dass ich sie gestört hatte, und dass es ihr gar nicht in den Kram passte. Aber das ist ihr Ding. Ich habe nur meine Tochter abgeholt, und das ist meine Bedingung gewesen, dass ich sie abholen kann wann ich will bzw. sie will. Sie darf genervt sein. Ich muss es ihr nicht passend machen. Ich umarme diesen Teil, der sich schämt.

Im Strudel der Mittagszeit ist mir die Sehnsuchtsmutter völlig abhanden gekommen. Nun fällt sie mir wieder ein, sofort werde ich sanfter, der Druck verschwindet, ich darf so sein wie ich bin, mich zuhause fühlen in meinem Leben. Ich spüre Müdigkeit, ich lege mich hin.

Ich will so sein wie sie

Wenn ich manche Kinderbücher vorlese werde ich konfrontiert mit einer mächtigen Sehnsucht oder einer riesigen Illusion. Wahrscheinlich beides.

Es gibt Bücher, besonders für die kleineren, da ist die Mutter immer entspannt, geduldig, bereit aufzuspringen um alles zu richten, denkt umsichtig an alles, ist völlig entspannt angesichts des kontrollierten Chaos‘, hat in ihren selbstverständlich schlanken Körper immer genug Energie für alles, steht selbst mitten in der Nacht mit einem Lächeln im Gesicht auf, jede Herausforderung wird mit Gelassenheit liebevoll gemeistert. Hach, ja, wäre ich doch auch so.

Es spielt gar keine Rolle, dass es der überzogenste Quatsch ist, ich wäre gern so.

Ich wäre gern anders, das ist ein Grundthema. Seit der Schulzeit begleitet mich das. Damals bin ich dem Impuls ganz ungeniert gefolgt. Ich wurde immer wieder von jemandem angezogen, ich wollte so sein wie sie. Ich habe mich dann ganz bewusst da hineinbegeben, ich habe ihre Körperhaltung und ihre Bewegungen nachgemacht, ich habe ihre Schrift und ihre Haltung dabei nachgemacht, ich habe meinen Schulranzen so sortiert wie sie, versucht meine Sachen mit der absolut gleichen Handbewegung rein und rauszuholen, ich dachte, wenn ich nur perfekt genug beherrsche was sie kann, dann, ja dann was? Ich weiß es nicht, aber etwas Wunderbares sollte eintreffen.

Genau so wunderbar, wie wenn ich es schaffen könnte so zu sein wie diese Mütter aus den Büchern. Und überhaupt, nur weil die Realität eher anders ist, muss das ja kein Quatsch sein. Es wäre ja schön, wenn es so wäre.

Was wäre dann?

Dann wäre ich endlich mit mir im Reinen, wer so entspannt und strukturiert und voller Energie und liebevoll und ruhig und unerschütterlich und ordentlich und gut gelaunt ist, der ist mit sich im Reinen. Diese Mädchen früher, die waren auch so, die wirkten völlig bei sich, selbstsicher, ausgeglichen, entspannt, organisiert, zufrieden, im Gegensatz zu mir, die aufbrausend war, ehrgeizig, immer bestrebt besser zu sein, vorne zu stehen, im Mittelpunkt zu stehen, Arbeiten auszuweichen und abzugeben, chaotisch und unorganisiert. Dass ich Klassenbeste war und Klassensprecherin hat nichts geholfen, ich muss gespürt haben, dass sie eine innere Ruhe hatten, die mir fehlte.

Nach dem Seminar am Wochenende weiß ich, es ist nicht unbedingt die innere Ruhe im Sinne von mit sich im Reinen sein, die sie hatten, sondern ein ruhiges Temperament. Und das ist im Zweifel für mich immer noch erstrebenswert, obwohl ich immer mehr verstehe, dass ich es nicht habe.

Vielleicht verwechsle ich auch etwas, innere Ruhe mir äußerer Ruhe. Der Zustand nach dem ich mich sehne ist mit mir und meinem Leben im Reinen zu sein, und das bin ich definitiv nicht. Ich hadere mit so ziemlich allem, sobald es zum Konflikt kommt oder schwer wird. Dann bin ich oder mein Leben irgendwie verkehrt und dann erscheinen mir aber viele andere auf einmal so richtig, also im Gegensatz zu mir richtig. Wäre ich doch nur so wie sie.

Dieser Satz treibt mir die Tränen in die Augen. Ich habe so viel Mitgefühl mit mir, weil ich mich selbst so wenig annehmen kann. Ich kann nicht viel Gutes darin sehen ich zu sein. Nichts was von Bedeutung ist kann ich. Ich bin nicht liebevoll, nicht einfühlsam, nicht fleißig, nicht hilfsbereit, nicht aktiv, ich kümmere mich nicht genug, ich gebe Verantwortung ab wo es nur geht.

Bitte hilf mir es anders zu sehen.

….

Stunden später. Ich habe nie gelernt, das was ich bin und kann zu schätzen. Ich bin gefangen in diesem negativen Strudel. Mein Blick ist gründlich darauf abgerichtet. Sicher, das ist auch unsere menschliche Programmierung, aber ich gehöre zu denen, die es besonders gut können. Das Haar in der Suppe zu finden.

Aber allein das Haar in der Suppe zu finden reicht nicht, es klappt nur, wenn daraus ein Riesendrama wird. Und da sehe ich eine Möglichkeit.

Ich kann mich entscheiden, auf das Drama nicht einzusteigen. Das liegt in meiner Macht. Auf jeden Fall vom Verstand her, und der muss jetzt leiten, im Sinne von entscheiden.

Meine Freundin sagte heute, sie habe sich bis in die kleinsten Zellen hinein erforscht. So geht es mir auch. Ich kenne mich in mir selber genauestens aus. Aber das ist nur ein Teil. Wenn die Handlung fehlt, die neue Erfahrung, dann bleibe ich hängen. Und wenn ich auf das passende Gefühl warte, bis ich die neue Erfahrung mache, dann kann ich lange warten, die Erfahrung habe ich schon gemacht. Sehr trickreich das Ganze, aber das Gefühl kommt nicht ohne eine entsprechende Erfahrung.

Das bedeutet, ich muss mit der Handlung ins kalte Wasser springen. Wie beim Praktikum. Wenn ich gewartet hätte, bis ich keine Angst mehr vor den Stunden habe, würde ich sicher immer noch warten.

Und was bedeutet das für jetzt? Welche Entscheidung will getroffen werden? Ich habe eine lustige Idee. Ich will mit mir im Reinen sein, wie die Mütter aus den Kinderbüchern. Oder das was sie für mich transportieren. Also versuche ich morgen mir die Frage zu stellen, was würde eine solche Mutter tun, wie würde sie das sehen? So als Gegengewicht zu dem ‚Haar-in-der-Suppe-Drama‘ das ich sowieso veranstalte.

Nicht als Diktat, sondern als Option es anders zu sehen. Ich freue mich darauf, die Kleine in mir ist total Feuer und Flamme, wir spielen wieder das Spiel unserer Kindheit. Denn das war es damals, ein Spiel, locker und leicht und jederzeit beendbar.

Ich wage dieses kleine Experiment. Ich bin gespannt.

Den Fortschritt würdigen

Ich habe bei einer Frau (hallo, ich wink mal rüber) eine schöne Idee aufgeschnappt. Sie hat eine Liste gemacht, von all den Dingen, die sich in den letzten Jahren verbessert oder geändert haben.

Ich möchte das auch gerne versuchen.

  • ich hatte schon lange keine Wutanfälle mehr, und wenn, kann ich viel besser stoppen, sie überwältigen mich nicht mehr.
  • anfallartiges Essen, also wahlloses immer weiter Vollstopfen, ist schon lange vorbei, meine Essanfälle sind immer nur ein kleines bis mittleres Zuviel
  • ich stoppe oft ganz automatisch beim Essen, weil ich einfach satt bin und alles weitere zu unangenehmen Völlegefühlen führen würde.
  • ich spüre meinen Körper, vollständig und nahezu ständig, vor 6 Jahren konnte ich nur die Beine und ab der Brust aufwärts spüren, der Rest lag im Dunkeln
  • ich kann darauf vertrauen, dass bei mir sein, mich begleiten, das Richtige ist, absolutes Verlorensein ist viel seltener geworden.
  • äufräumen ist hin und wieder möglich
  • ich habe die Ausbildung angefangen und bin mittlerweile im dritten Jahr, ich konnte eine Entscheidung treffen
  • ich komme mit meinen (älteren) Kindern besser klar, ich kann sie besser verstehen und liebevoller sein, ab dem Alter von etwa vier Jahren wurde es für mich zunehmend schwerer.
  • ich bin viel mehr in Bewegung und trainiere regelmäßig.
  • ich habe viel weniger Angst vor Kindergeburtstagen.
  • ich habe Neues gewagt (Praktikum), und wage immer wieder Neues.
  • das Gewicht sinkt kontinuierlich in seiner Bedeutung
  • ich entwickle langsam Vertrauen ins Leben
  • ich trinke manchmal Leitungswasser und es ist ok
  • meine Abhängigkeit von Büchern und Kursen wird weniger
  • ich kann immer öfter bewusst innehalten und den Druck rausnehmen
  • überhaupt wird mir immer klarer, dass der ganze Druck nur in mir ist, oder anders, dass der relevante Druck in mir ist.
  • die Neugier wächst stetig.
  • ich schließe neue Freundschaften
  • ich grüße manchmal von mir aus freundlich auch wenn ich denjenigen nicht kenne
  • ich kann manchmal meiner Tendenz entgegenwirken Menschen zu ignorieren, so zu tun als sähe ich sie nicht, nur um nicht mit ihnen reden zu müssen
  • das neue Gefühl, dass ich in Ordnung bin so wie ich bin, blitzt hin und wieder durch
  • die Fähigkeit mich zu beobachten und damit mitzubekommen was gerade wirkt und was mich steuert ist enorm gestiegen.
  • genauso kann ich schon manches Mal auch aktiv aus dem was mich steuert wieder aussteigen.
  • ich brauche es immer seltener zu dissoziieren, und wenn kann ich es mir ganz bewusst erlauben
  • überhaupt kann ich zunehmend dem eine Erlaubnis geben was sowieso da ist, auch wenn es etwas ist, was ich überhaupt nicht haben will. Diesen Punkt möchte ich unterstreichen, für mich ist es unfassbar, dass es mir manchmal gelingt, das widerspricht meinem stärksten Knebel, dem Perfektionismusdiktator. Und es ist etwas Neues, es gelingt mir erst seit Kurzem. Viele Jahre habe ich nur die Leitregeln ausgetauscht, bin aber im System geblieben, habe mit aller Macht und Einsatzbereitschaft eine bestimmte Vorgabe zu erfüllen versucht. Vorgaben ganz fallen zu lassen, war ein großes Tabu. Inzwischen gelingt es mir manchmal, wenn auch selten. Für mich ist das ein Riesenschritt.

Weich, sanft und orange

Ich weiß gar nicht was ich schreiben soll, ich vermeide es den ganzen Tag, weil ich da nicht hinschauen will, aber vom Wegschauen wird es nicht besser.

Gestern Nacht hatte ich wieder den Ring und gebrochen habe ich auch. Das Übergeben ist dann allerdings entlastend, danach geht es besser, und auch gestern konnte ich schnell danach wieder einschlafen, auch ohne Schmerzmittel. Seit dem Sommer ist das nicht mehr passiert, eine eher lange Zeit.

Ich bin wieder mal in einer totalen Überforderung. Ich spüre sie auch ohne Ring. Es presst mich zusammen, ich sitze wieder im Loch und die Steine purzeln nur so auf den Eingang. Ich versuche nicht mal sie wegzuräumen.

Es war viel, aber viel ist es immer. Ich glaube nicht, dass das alles ist. Aber ich weiß nicht wo ich anfangen soll.

Ich habe eine kurze Pause gemacht um etwas zu holen und unterwegs fiel mir eine Geschichte aus der Kindheit ein, die mit Scham und Peinlichkeit zu tun hat. Und sofort ist da Resonanz in mir.

Darum geht es also, um Scham, um nicht richtig sein. Sofort kommen die Tränen. Ja, darum geht es.

‚Ich bin einfach nicht richtig, so ein Versager, nichts kann ich, ich habe mir so viel vorgenommen, ich mache es nicht, was ich mache ist nicht gut genug, und ich schaffe es nicht aus diesem Loch herauszukommen, ich will mich nicht mehr getrieben, überwältigt und überfahren fühlen. Kann mir nicht irgendjemand helfen? Bitte lieber Gott hilf mir es anders sehen zu können, hilf mir einen anderen Blickwinkel einnehmen zu können.‘

Es erscheint eine Helferfigur, eine Katze, eine orangefarbene, weiche, sanfte, geschmeidige, wunderschöne Katze. Sie umschwirrt, umschmeichelt und umstreichelt mich. Das tröstet mich.

‚Du musst dich erstmal pflegen‘, sagt die Katze. ‚Komm zu Kräften, sei einfach nur freundlich, liebevoll und gnädig zu dir, weil es dir nicht gut geht. Du wirst dich erholen, und dann wirst du es auch wieder anders sehen können. Geh schlafen, lies noch etwas Schönes, Stärkendes, nichts was wieder eine Aufgabe anbietet, lass dich fallen in diese Stimmung, entspanne dich da hinein, roll dich ein und mache eine Pause, so wie ich das sehr gut kann.‘

Das stimmt, sie kann das wirklich gut. Katze sein ist sicher gemütlich. Und sie hat recht. Ich schwinge sofort mit, ihr Rat trifft ins Schwarze, ich roll mich zusammen und pflege meine Wunden, das fühlt sich auf der Stelle wohltuend an, alles wird weicher, weiter, sanfter, ich freue mich auf mein Bett.

Ich seh was was du nicht siehst

Zur Zeit vier Tage Seminar. Ziemlich anstrengend, zu anstrengend, zumal es mir körperlich nicht gut geht.

Es gibt eine Diskrepanz zwischen meiner Wahrnehmung und der Wahrnehmung der anderen. Ich fühle mich träge, schwerfällig, wie ein schwerer Kloß, ohne Kraft und Energie.

Und ich bekomme Rückmeldungen ich sei so hochenergetisch, schnell, zu energetisch, zu schnell. Das verwirrt mich auf eine unangenehme Art. Ich kann es nicht verstehen, nicht einordnen.

Darf das sein, dass du das nicht einordnen kannst? Dass du das vielleicht erst noch ein wenig beobachten musst, erforschen musst, damit experimentieren musst?

Das darf schon sein, aber trotzdem fühle ich mich so uneinschätzbar. Ich kann mich selbst nicht einschätzen, meine Wirkung auf andere nicht einschätzen, das macht mir Angst. Ich denke es ist so und so, und dabei ist es völlig anders, das katapultiert mich in den luftleeren Raum.

Was ist dort?

Totale Unsicherheit. Ich bin eine unberechenbare Zeitbombe. Jederzeit könnte ich etwas Schreckliches tun und es selbst nicht merken.

Ist denn die Diskrepanz in der Wahrnehmung automatisch damit verbunden, dass du etwas Schreckliches tust? Könntest du nicht auch etwas Gutes tun?

Vielleicht, aber das würde ich auch nicht merken.

Hm. Kennst du das irgendwoher?

Ja, ich kenne das, als ich nach Deutschland kam, war es genauso, die alten Regeln und Verhaltensweisen galten nicht mehr, ich war irgendwie für die anderen unverständlich, ich wusste nie welche Reaktion mein nächstes Wort und meine nächste Handlung auslösen würde. Es war ein Minenfeld. Ich wurde plötzlich ausgelacht und verstand nicht wieso, die Leute wurden sauer und ich verstand nicht wieso. Ich traute mich nichts mehr, ich überlegte ewig ob ich wirklich etwas sagen soll. Es war furchtbar.

Ja, das war furchtbar. Damals gab es niemanden der dir dabei zur Seite gestanden wäre. Es gab keinen Erwachsenen, der dir die Welt hätte erklären können, es gab keinen Erwachsenen, der dich getröstet hätte oder dir beigestanden hätte.

Ja das stimmt. Heute kann ich mich in meiner Verwirrung begleiten, heute bin ich Gott sei Dank erwachsen.

Es fühlt sich besser an, es hilft zu wissen was es triggert, auch wenn es an der Sache an sich, dass diese Diskrepanz besteht, nichts ändert. Ich kann es nun annehmen.

Lange Weile

Immer wieder holt es mich ein. Was soll ich nur tun?

Wir sind nur zu dritt, mein Mann fährt die Mädchen und kommt erst morgen wieder, und alleine ist es praktisch unerträglich. Hier ist es so leise, alles ist düster und dunkel und kalt und verlassen.

Ich bin dem Leben gegenüber in einer total passiv-reaktiven Position. Ich warte das etwas passiert oder ich wehre mich gegen das was passiert. Aus mir selbst kommt nichts. Das ist einfach so. Früher habe ich mir ununterbrochen Aktionen gesucht, aber auch weil ich es nicht einen Abend alleine zuhause ausgehalten habe.

Allerdings, warum soll ich auch alleine zuhause rumsitzen, wenn ich jung und voller Energie bin? Heute müsste man mich zum Ausgehen prügeln, alles hat eben seine Zeit.

Alles was ich heute aufschreibe ist irgendwie wirr. Hat keinen roten Faden. Ich springe in der Totalverwirrung hin und her. Weiß nichts, weiß nicht wohin oder was.

Muss ich denn eigentlich immer wissen was ich tun soll? Muss es mir immer gutgehen? Kann ich nicht auch einfach mit zwei Kindern allein zuhause sein und mich langweilen?

Doch das darf ich. Was für eine Erleichterung, tausend Tonnen fallen von mir ab. Ich darf nicht wissen was ich machen soll, ich darf hier rumsitzen und mich langweilen.

Mich dünkt, um herauszufinden was ich will und nicht will, muss erst die Verwirrung und das Nichtwissen da sein dürfen. Ich muss so lange bei der Verwirrung bleiben, einfach mit ihr sein ohne sie mit Gewalt verändern zu wollen, bis irgendwann ein Impuls auftaucht etwas zu tun. Und der wird auftauchen, das weiß ich. Nur nicht wann, das weiß ich nicht.

Was mag ich?

Ich muss ganz weit zurück gehen. Zurück zu den einfachsten Basics.

Ich weiß nichts über mich, niente. Ich kenne zwar das System nach dem ich funktioniere, meine automatisierten Reaktionen und Gewohnheiten, aber sonst, gar nichts.

Ich weiß nicht was ich mag und was ich nicht mag, womit ich mich gern beschäftige, was mich interessiert, welches Essen ich vertrage.

Mein Hauptziel ist auf dem Sofa liegen und nichts tun, das kann es nicht sein, dass ich dafür auf die Welt gekommen bin, das ist ganz sicher ein völlig denaturiertes Verhalten. Aber ein anderes Ziel habe ich nicht.

Nein das stimmt nicht, ich habe noch diese Sehnsucht wie Schneewittchen durch die Räume zu fegen und alles sauber zu machen, aber das scheitert an der chronischen Energielosigkeit.

Und das Essen. Mir ist in den letzten Tagen aufgefallen, dass ich morgens, ich frühstücke meistens zwischen 11.00 und 13.00, noch fit und voller Energie bin. Kaum habe ich gegessen, mit viel Hunger und nicht zu viel, fühle ich mich schwer, schlapp und träge, als würde Essen an sich mich irgendwie vergiften.

Heute morgen war es auch so, ich bildete mir ein, die Breze mit Frischkäse würde summen, auf jeden Fall wollte ich alles andere nicht, aber danach, obwohl ich von Hunger maximal auf sechs bin, fühle ich mich müde, habe leichte Kopfschmerzen, fühle mich schwer, habe leichte Kreislaufprobleme. Ein eindeutiges Zeichen, dass mir das Essen nicht bekommt. Kopfschmerzen, Müdigkeit als Zeichen für falsches Essen habe ich von Paunger und Poppe, die die Menschen in zwei Ernährungstypen einteilen. Ihrer Einteilung glaube ich nicht, ist viel zu strikt und kategorisierend, aber die ganzen Symptome, die sie für Unverträglichkeit auflisten, die haben bei mir sofort eine Resonanz erzeugt.

Die drei mittleren Mädchen fahren heute weg. Ich möchte die nächsten drei Tage bewusst hinspüren was das Essen mit mir macht, wie ich mich vorher fühle und wie nachher, ob es einen Unterschied gibt je nachdem was ich gerade esse.

Ganz klar

Lebensfreude 0,25 auf einer Skala zwischen 1 und 100. Genau so ist es. Was stimmt nicht mit mir? Warum können sich andere Leute über die Dinge des Lebens freuen und ich nicht?

Es gibt nichts, nicht ein einziges Wunschszenario auf das ich mein zukünftiges Glücklichsein projizieren kann. Ich bin wunschlos unglücklich.

Ich glaube sogar, ich war noch nie glücklich, zufrieden in Sinne der Lebensfreude. Ich war nur euphorisch, völlig aufgeputscht. Deswegen war es immer genau so auslaugend wie Stress und verlangt nach Essen. Die Maske fällt stetig und was sich darunter zeigt ist ungeheuerlich.

Alle Illusion von Glück war nur ein intensiver Rausch im Himmelhochjauchzend-Modus, oder Beifall des Über-Ichs, weil ich meine Aufgaben so brav erledige, oder, die dritte Variante, Hoffnung, dass Seminar oder Buch Nummer x endlich alles richten wird. Und ganz viel Ablenkung, Lesen, Stricken und natürlich Essen.

Und das alles, alles hat seine Wirkung verloren. Statt Gras nun also Oregano. Nichts wirkt mehr. Ich kann es gar nicht fassen.

Ich werde gezwungen anzuschauen was ohne all dem Firlefanz da ist: Nichts. Graue, klebrige, kalte Leere, ein inneres Kaputtsein.

Eine Gewissheit begleitet mich, dass das nichts ist, dem mit Hinterfragen oder sonst irgendwelchen Kunstgriffen beizukommen ist. Diese ganzen Mittelchen haben ihre Berechtigung, aber hier ist alles Dagewesene wirkungslos.

Hier tut sich etwas auf, was ich nicht kenne, etwas was in einer Sprache zu mir spricht, die ich nicht verstehe. Es will etwas von mir, das weiß ich, aber was? Ich bin wie der zerstreute Professor der stundenlang seine Brille sucht, während sie auf seiner Nase klebt.

Ich ringe um ein Verständnis, dass nicht existiert, ich suche nach Lebensfreude, die ich nicht finde, ich frage Warum? Wozu? Was soll das? und bekomme keine Antwort.

Alles, was ich bisher gelernt habe, war notwendig um mich hierher zu bringen, aber nun kann es mir nicht mehr helfen. Auch das weiß ich.

Dafür dass ich nichts weiß, weiß ich doch eine ganze Menge, fällt mir grad auf.

Das macht es nicht besser. Oder vielleicht doch. Mir fällt auch gerade ein, vielleicht sollte ich einfach aufhören irgendwelchen anderen Leuten irgendetwas zu glauben oder nachzumachen, sondern mich nur noch auf das verlassen was ich weiß. Egal wieso, egal woher, Hauptsache ich weiß es.

Und nun wieder zurück. Was weiß ich?

-Das Alte ist eine Illusion gewesen.

-Die Ablenkung wirkt nicht mehr.

-All die erlernten Strategien können mir nicht mehr weiterhelfen.

-Und jede weitere neue Strategie, die ich heute noch nicht kenne, ebenso.

-Das ist so klar, der Wahnsinn. Es gibt in mir eine Klarheit.

Die soll mein Leuchtturm sein.

Anhand dieser Klarheit richte ich mich aus. Und so lange, bis es klar ist, brauche ich nichts zu tun, bringt sowieso nichts. Das ist klar.

Ich orientiere mich nur noch an meiner eigenen Klarheit und an sonst gar nichts. Wow, das fühlt sich so geil verwegen an, wie mit 15 nachts aus dem Fenster steigen. Unerhört dreist. Es ist das einzig Richtige. Ganz klar.

Ach ja, fürs Protokoll, ich bin so gut gelaunt und leicht und frisch, witzig, wie sich das ändert, die ganze graue kalte Klebemasse ist auch da, mir wurscht.

Feuertiger

Bis eben Geschenke eingepackt im Akkord. Gleich kommen die ersten Kinder aus der Schule, da muss das fertig sein.

Drei Geschenke sind mir irgendwie aus der Bestellliste wieder rausgefallen. Das habe ich erst jetzt beim Verpacken bemerkt, bei so vielen Geschenken habe ich das nicht mehr im Kopf. Für die Post ist es zu spät, wir müssen irgendwann noch in die Stadt fahren und Ersatz besorgen. Ich hasse Einkaufen, der Horror. Ich bin so froh, dass man alles bestellen kann. Und jetzt das.

Ich hatte gerade den Gedanken, meine Mutter anzurufen, dass sie heute Nachmittag kommt, damit ich in die Stadt fahren kann. Das geht nicht, das überfordert mich. Es überfordert mich allein in die Stadt zu fahren. So weit ist es schon gekommen. Zu laut, zu viele Menschen, und das Allerschlimmste: kaum Aussicht auf einen Parkplatz so kurz vor Weihnachten. Und mit der U-Bahn fahren, oh Graus, noch schlimmer.

So sieht es aus. Ich lasse das mal stehen, keine Ahnung was ich machen soll.

Nun bin ich soweit fertig, und sitze wieder da, desorientiert, nicht wissend was ich nun machen soll. Am liebsten hätte ich gern einen persönlichen Gott oder Engel, der mir ständig sagt, was ich jetzt machen soll, worauf es ankommt, entspannen oder Sport, aufräumen oder Urlaub von der Welt. Ich habe keine Ahnung, ich habe keine Verbindung, das macht mich so traurig, ich kenne mich kaum, ich nehme mich kaum wahr.

Das stimmt eigentlich nicht. Wahrer ist, ich will nicht was ich wahrnehme. Ich will mich nicht mehr so fühlen. Ich will auch mal wissen wie es ist sich gut zu fühlen, ist das zu viel verlangt? Kann ich mich auch mal irgendwie gut fühlen?

Aber ich sitze nur da und warte auf irgendetwas, auf den großen Knall oder das große Feuerwerk oder keine Ahnung. Das etwas Wundersames passiert und dann ist endlich alles gut. Für immer gut.

Ein Teil in mir fragt: Und was soll das sein? Was soll passieren? Und wie soll das aussehen, dieses ‚gut‘?

Ich habe keine Ahnung. Ich renne von Pontius zu Pilatus, immer von der Hoffnung getragen, dass jemand endlich alles für mich löst, und sie können mir alle auch helfen, aber alle nur bis zu einem gewissen Punkt. Es bleibt ein Teil des Weges, den mir niemand sagen kann, ja ich weiß, ich muss das allein gehen. Aber ich versteh nicht was das sein soll. Was soll ich tun? Worum geht es?

In der Theorie weiß ich bestens Bescheid. Aus dem Selbst heraus leben, den Wesenskern leben, die Zwiebelschichten entfernen, Schicht für Schicht. Ja, bla, bla, klingt alles super, aber ich weiß im Endeffekt nicht wie das gehen soll.

Ich entschäle und entschäle und entschäle und alles was passiert, ist, dass ich immer mehr merke wie scheiße es mir geht. Vor 10 Jahren hielt ich mich praktisch für fast erleuchtet, und nun weiß ich, dass ich nichts weiß, keinen Zugang zu meiner Lebensfreude habe, in ständiger Angst und Überforderung lebe, nicht weiß was ich hier soll und so DICK bin wie noch nie in meinem Leben außerhalb einer Schwangerschaft.

Kann mir bitte einer mal sagen was das soll???? Wieso meldet sich jetzt niemand? Ich werde doch sonst von Stimmern nur so bombardiert, aus allen Richtungen. In meinem Kopf ist doch sonst immer Markt, jeder schreit ‚hier!‘ und nun, Schweigen? Na los, jetzt redet mal was ihr Superschlautypen, fällt euch nichts dazu ein?

Wie wär’s mit: Noch mehr anstrengen, noch genauer dies und noch genauer an dem entlang und noch die Übung A und B und Z und am besten alle nochmal und…

Im mir wütet der Tiger im Käfig. Er läuft hin und her und hin und her und ab und zu stellt er sich mit den Vorderpfoten an die Gitterstäbe und brüllt alles nieder was ihm in die Quere kommt, und er speit Feuer, er brennt alles weg. Uaarrhhh! Das gefällt mir.

Ich bleibe ein Feuertiger, ich brülle und speie Feuer, alle sollen weg, alle sollen mich in Ruhe lassen, ich will nichts mehr hören, und wenn ich für immer in meinem Käfig bleibe, aber wenigstens in Stille. Haut ab! Das ist mein Käfig und niemand darf ihm zu nahe kommen. Ende.

Es tut so gut, was auch immer für ein Gedanke kommt, ich brülle und brenne ich einfach nieder, ungehört. Sobald die Spannung im Kopf wieder eine Folge von Lauten produzieren will, kommt nur ‚Uuaarrhhhh‘!

Nichts brauche ich mehr. Ich bin der Feuertiger.