Feuertiger

Bis eben Geschenke eingepackt im Akkord. Gleich kommen die ersten Kinder aus der Schule, da muss das fertig sein.

Drei Geschenke sind mir irgendwie aus der Bestellliste wieder rausgefallen. Das habe ich erst jetzt beim Verpacken bemerkt, bei so vielen Geschenken habe ich das nicht mehr im Kopf. Für die Post ist es zu spät, wir müssen irgendwann noch in die Stadt fahren und Ersatz besorgen. Ich hasse Einkaufen, der Horror. Ich bin so froh, dass man alles bestellen kann. Und jetzt das.

Ich hatte gerade den Gedanken, meine Mutter anzurufen, dass sie heute Nachmittag kommt, damit ich in die Stadt fahren kann. Das geht nicht, das überfordert mich. Es überfordert mich allein in die Stadt zu fahren. So weit ist es schon gekommen. Zu laut, zu viele Menschen, und das Allerschlimmste: kaum Aussicht auf einen Parkplatz so kurz vor Weihnachten. Und mit der U-Bahn fahren, oh Graus, noch schlimmer.

So sieht es aus. Ich lasse das mal stehen, keine Ahnung was ich machen soll.

Nun bin ich soweit fertig, und sitze wieder da, desorientiert, nicht wissend was ich nun machen soll. Am liebsten hätte ich gern einen persönlichen Gott oder Engel, der mir ständig sagt, was ich jetzt machen soll, worauf es ankommt, entspannen oder Sport, aufräumen oder Urlaub von der Welt. Ich habe keine Ahnung, ich habe keine Verbindung, das macht mich so traurig, ich kenne mich kaum, ich nehme mich kaum wahr.

Das stimmt eigentlich nicht. Wahrer ist, ich will nicht was ich wahrnehme. Ich will mich nicht mehr so fühlen. Ich will auch mal wissen wie es ist sich gut zu fühlen, ist das zu viel verlangt? Kann ich mich auch mal irgendwie gut fühlen?

Aber ich sitze nur da und warte auf irgendetwas, auf den großen Knall oder das große Feuerwerk oder keine Ahnung. Das etwas Wundersames passiert und dann ist endlich alles gut. Für immer gut.

Ein Teil in mir fragt: Und was soll das sein? Was soll passieren? Und wie soll das aussehen, dieses ‚gut‘?

Ich habe keine Ahnung. Ich renne von Pontius zu Pilatus, immer von der Hoffnung getragen, dass jemand endlich alles für mich löst, und sie können mir alle auch helfen, aber alle nur bis zu einem gewissen Punkt. Es bleibt ein Teil des Weges, den mir niemand sagen kann, ja ich weiß, ich muss das allein gehen. Aber ich versteh nicht was das sein soll. Was soll ich tun? Worum geht es?

In der Theorie weiß ich bestens Bescheid. Aus dem Selbst heraus leben, den Wesenskern leben, die Zwiebelschichten entfernen, Schicht für Schicht. Ja, bla, bla, klingt alles super, aber ich weiß im Endeffekt nicht wie das gehen soll.

Ich entschäle und entschäle und entschäle und alles was passiert, ist, dass ich immer mehr merke wie scheiße es mir geht. Vor 10 Jahren hielt ich mich praktisch für fast erleuchtet, und nun weiß ich, dass ich nichts weiß, keinen Zugang zu meiner Lebensfreude habe, in ständiger Angst und Überforderung lebe, nicht weiß was ich hier soll und so DICK bin wie noch nie in meinem Leben außerhalb einer Schwangerschaft.

Kann mir bitte einer mal sagen was das soll???? Wieso meldet sich jetzt niemand? Ich werde doch sonst von Stimmern nur so bombardiert, aus allen Richtungen. In meinem Kopf ist doch sonst immer Markt, jeder schreit ‚hier!‘ und nun, Schweigen? Na los, jetzt redet mal was ihr Superschlautypen, fällt euch nichts dazu ein?

Wie wär’s mit: Noch mehr anstrengen, noch genauer dies und noch genauer an dem entlang und noch die Übung A und B und Z und am besten alle nochmal und…

Im mir wütet der Tiger im Käfig. Er läuft hin und her und hin und her und ab und zu stellt er sich mit den Vorderpfoten an die Gitterstäbe und brüllt alles nieder was ihm in die Quere kommt, und er speit Feuer, er brennt alles weg. Uaarrhhh! Das gefällt mir.

Ich bleibe ein Feuertiger, ich brülle und speie Feuer, alle sollen weg, alle sollen mich in Ruhe lassen, ich will nichts mehr hören, und wenn ich für immer in meinem Käfig bleibe, aber wenigstens in Stille. Haut ab! Das ist mein Käfig und niemand darf ihm zu nahe kommen. Ende.

Es tut so gut, was auch immer für ein Gedanke kommt, ich brülle und brenne ich einfach nieder, ungehört. Sobald die Spannung im Kopf wieder eine Folge von Lauten produzieren will, kommt nur ‚Uuaarrhhhh‘!

Nichts brauche ich mehr. Ich bin der Feuertiger.