Heute in der Therapie wollte ich mit dem Anteil sprechen, der nicht abnehmen will. Sofort kam der Widerstand, Magenkrampf, Druck im Kopf, Schwindel, das System war dagegen.
Also gingen wir mit dem Widerstand. Dieser wollte schon gar nicht wahrhaben, dass das Gewicht irgendeinen Sinn haben könnte, weil das der Vorgabe widerspricht, dass ich perfekt sein soll. Die Perfektion ist das höchste Ziel, und es zählt nicht dass es nicht möglich ist. Ich bin diejenige, die Stroh zu Gold spinnen soll.
Dabei gebe ich mir richtig viel Mühe, halte an dem Gedanken fest, dass das möglich ist, auch wenn ich es noch nie geschafft habe und mich deswegen als ein ewiger Zweiter fühle. Bemüht aber nicht gut genug, gibt sich Mühe, aber schafft es einfach nicht in Ordnung zu sein.
In diesem System gibt es keinen Platz für mich an dem ich sein kann. In manchen Systemen kann etwas getan werden um die Vorgabe zu erfüllen, und auch wenn das die totale Selbstaufgabe bedeutet, so ist das doch wenigstens erreichbar.
In meinem System ist die Vorgabe per se schon unerreichbar, weil eben niemand Stroh zu Gold spinnen kann. Der Satz, der mir die Tränen in die Augen treibt, weil er genau meine Realität wiedergibt ist: ‚Nur perfekt darf ich leben‘.
Ich kann es nicht erreichen, ich kann aber auch nicht aufgeben es zu erreichen, weil das die Vernichtung bedeutet, bedeutete damals. Das System verlangt von mir ständige Anstrengung es zu erreichen.
Der Blick, die Augen durch die ich angeschaut wurde ist: ‚Das reicht nicht, du musst dich mehr anstrengen, so bist du nicht ok.‘ Und dabei gab es niemals einen Ok-Punkt, ganz egal was ich gemacht habe.
In diese Welt bin ich hineingeboren und diese Welt wirkt immer noch in mir, kopfmäßig weiß ich dass das nicht alles ist, dass es auch noch eine andere Welt gibt, nur das Gefühl fehlt noch, die Erfahrung.
Dass die Welt noch stark ist in mir, merke ich daran, dass ich nicht einmal heute aufgeben kann, es ist mir nicht möglich zu sagen: ‚Ich kann das Stroh nicht zu Gold spinnen, das ist mir nicht möglich‘, ‚Ich kann nicht perfekt sein, das ist nicht möglich‘
Da melden sich sofort die Stimmen: ‚Nicht aufgeben, nicht aufgeben, du musst es versuchen, noch mehr versuchen, noch intensiver, noch konzentrierter‘
Das ist die unterste Wurzel des Systems, zumindest bis heute, das hält alles zusammen, die Angst vor Fehlern jeglicher Art, die mich sogar zum Brechen bringt, die Scham vor Herausstellung positiver Art, weil ich das nicht als möglich erlebt habe als Kind, und deswegen das Gefühl habe zu betrügen, der ständige Vergleich mit anderen, und wenn ich nicht die Perfekteste bin, dann die bekannte Trauer, Enttäuschung und Resignation: ‚da gehöre ich hin, an zweiter Stelle, ich bin nicht in Ordnung, so ist es eben, da kann man nichts machen‘
Und das schlimmste, ganz tief, ohne dass ich es bis heute zugeben konnte, vergleiche ich meine Kinder und messe sie an diesem Perfektionsanspruch. Sofort kommt Scham dafür, aber eine befreiende Scham, weil ich es endlich sehen kann. Und merke dass es falsch ist, dass dieser Vergleich meinen Kindern nicht gerecht wird. An meinen Kindern kann ich fühlen, dass diese Welt falsch ist, brutal, erbarmungslos und kalt. Dass meine Kinder Stroh zu Gold spinnen sollen, dass will ich ihnen nicht mitgeben.
Über meine Kinder als Brücke kann ich auch für mich Mitgefühl empfinden, ich habe das einfach mitbekommen, ich hatte keine Wahl.
Und genau darüber, meint meine Therapeutin, über die Scham den Kindern gegenüber kann das Tor aufgehen zur anderen Welt. Weil ich fühlen kann, dass es falsch ist, muss ich eine Ahnung haben von etwas Anderem.
Heute ist es noch nicht so weit. Ich kann nicht in die andere Welt, noch nicht mal für einen kurzen Blick. Ich kann aber dem Perfektionsgriff, der mich fest umklammert hält in die Augen schauen und ihn als falsch erkennen, und das ist schon eine ganze Menge. Und ich habe unendlich viel Mitgefühl mit mir, das ist auch eine ganze Menge.
Ich bin sehr dankbar, ich habe heute etwas sehr Wichtiges über mich gelernt, einen ganz großen Schatten ins Licht geholt.
Mir fällt etwas ein. Wenn es um das Wort ‚perfekt‘ geht, es offensichtlich so viel Macht hat, es so wichtig ist es zu sein, dann könnte ich schauen ob ich die Macht des Wortes nutzen kann um die Wände aufzubrechen. Ich frage: ‚Ist es möglich zu sagen, dass du genau so wie du bist, heute in diesem Moment absolut perfekt bist?‘
Ja, ja, ja das kann ich sagen, in diesem Moment bin ich perfekt genau so wie ich bin. Ich kann es sagen, hurra, ich kann durch diese Augen schauen, die Augen der Liebe.