Schon vor einigen Wochen ist mir deutlich bewusst geworden, dass ich kaum Freude fühlen kann. Ich freue mich schon, aber nur im Kopf. Ich denke Freude. Ich fühle sie nicht.
Bis dahin hatte ich Freude denken als Freude fühlen verbucht. Aber dann, wie aus dem Nichts, fühlte ich plötzlich den Unterschied.
Wenn Leute mit erzählen, wie sie den Wind genießen oder den Sonnenuntergang oder die Aussicht, habe ich schon immer schulterzuckend: ‚ja schön‘ gesagt, aber irgendeine Empfindung hat es nicht ausgelöst. Ich dachte einfach, ich bin nicht so der Aussichtstyp.
Aber dann bin ich draufgekommen, dass ich selbst bei Dingen oder Ereignissen, die ich mag, will oder ersehne nichts fühle. Zum Beispiel die Heilpraktiker Prüfung für Psychotherapie, die ich vor einigen Monaten bestanden habe. Ich habe viel gelernt, viel gezittert und es geschafft.
Und während eine Mitstudentin, die es ebenfalls geschafft hat, tagelang hüpfend-heulend vor Freude durch die Gegend sprang, hatte ich nur ein Schulterzucken übrig. Geschafft eben *schulterzuck und weiter geht’s*.
Hm. Der Unterschied ließ mich aufhorchen. Ich beobachtete das und fand viele, viele weitere Beispiele. ‚Ist heute nicht ein herrliches Wetter?‘ ‚Ja‘ *schulterzuck und weiter geht’s*, ‚Diese Blumen duften aber herrlich! ‚Aha‘ *schulterzuck und weiter geht’s*, mein Mann sitzt im Garten herum und schaut in den Himmel, ‚Wie er das nur aushält?‘ *schulterzuck und weiter geht’s*. Oder das Essen genießen. Das geht einfach nicht, es ist als ob mein Mund es nicht toleriert, dass eine Geschmackempfindung länger als eine Millisekunde anhält.
Es gibt nichts Schönes das ich auch wirklich fühle. Es ist als ob die Freude es nur bis in mein Kopf schafft, und dort in einen passenden Satz umgewandelt wird: ‚Das ist aber wirklich schön‘, dann fein säuberlich abgelegt wird in den Gehirnannalen.
Seitdem versuche ich Freude zu empfinden. Aber es ist gar nicht so einfach. Mein Körper scheint nicht viel von dieser Empfindung tolerieren zu können. Dami Charf sagt, dass wir, wenn wir als Kinder in unserer Freude nicht gespiegelt wurden, keine Toleranz für die damit verbundene Körperempfindung entwickeln. Wir halten Freude schlicht nicht aus und versuchen sie wegzudrücken wie andere unangenehme Gefühle. Und dass es noch schwieriger ist wieder zu lernen die Freude zuzulassen als die Wut oder Trauer oder Angst.
Da kann ich nur zustimmen. Als ich vor über 7 Jahren angefangen habe kannte ich nur eine einzige Emotion: Wut. Später kam Traurigkeit dazu, und noch später Angst. Kaum zu glauben, dass ich bis vor einigen Jahren Angst nicht bewusst wahrgenommen habe, wo ich jetzt in einer Art Dauerpanik lebe.
Aber mich freuen, etwas mit allen Sinnen genießen, das kann ich nicht, noch nicht. Es scheint für meinen Körper noch zu gefährlich zu sein, es erlaubt mir nur kleinste Dosen. Bisher nur bei meiner Hochzeit, bei der Geburt unserer Kinder und in meinem neuen Auto. Hochzeit und Geburt sind nur Erinnerungen, das neue Auto freut mich jedes mal wenn ich mich reinsetze und ich versuche diesem Gefühl Raum zu geben und es zu ankern um es zu stärken.
Gerade habe ich versucht im Garten zu frühstücken. Es ist schön, es ist warm, die Blume blühen, es geht ein lauer Wind, herrlich angenehm, sagt mein Kopf, nichts gefühlt, sagt mein Körper, ich habe es aber versucht und bin nicht wie sonst gleich drin geblieben weil es ‚eh wurscht‘ ist.
Es ist vielleicht eben nicht wurscht. Es macht vielleicht einen Unterschied, ob ich das Beste und Schönste für mich auswähle oder nicht, ob ich bei allem was ich tue mich selbst mit Liebe und Respekt behandle, als würde ich es fühlen. Vielleicht fühle ich das irgendwann.
Ich habe vor kurzem eine Meditation gemacht, in der ich Gott darum gebeten habe mir zu sagen was ich wissen muss und er antwortete: Du musst lernen zu genießen und du musst dir selbst das Kostbarste sein.
Ich fand es sehr doof, das ist so schwer, fast unmöglich. Und doch auch faszinierend. Die Vorstellung ich könnte etwas wirklich genießen, wie sich das wohl anfühlt? Ob das für mich überhaupt möglich ist?
Doch es ist möglich sagt meine innere Stimme, du musst es zulassen lernen, in winzigst kleinen Dosen zulassen, dir dabei ganz viel Zeit lassen. Es muss organisch wachsen.
Für mich sorgen, mich mit Liebe und Respekt behandeln, mir selbst das Kostbarste sein, mich für das Genießen öffnen, in winzigen Schritten, das hört sich auf jeden Fall absolut herrlich an, mein Kopf genießt es schon mal in vollen Zügen.
……
Mir ist aufgefallen, es gibt doch etwas woran ich Freude habe, fast immer: Bewegung. Ich kann die Aussicht oder den Sonnenuntergang nicht besonders genießen, aber wenn ich mich bewusst bewege dann fühle ich ganz oft eine innere Freude, ich habe einfach Spaß. Dazu muss ich der Bewegung bewusst folgen, ohne Aufmerksamkeit passiert nichts.
Das passt auch zu der Übung, die wir mal in der Ausbildung gemacht haben, wir sind zurückgegangen in unsere Zeit als Babys und haben uns so bewegt. Ich hatte keinerlei Interesse an meiner Umgebung oder an den anderen ‚Babys‘ sondern wollte nur meinen Körper und seine Bewegungsmöglichkeiten erkunden.
Jeder hat zu manchen Sinnen einen besseren Zugang als zu anderen, und während ich mir Gesehenes sehr gut merken kann, im Gegensatz zu Gehörtem, ist das offensichtlich nicht der Sinn, der mich mit der Freude verbindet.
Freude ist mir am leichtesten kinästhetisch zugänglich. Also bin ich vielleicht gar nicht ‚falsch‘ weil ich keinen Sonnenuntergang genießen kann, es ist einfach nicht meine Art. Ich probiere mal Gartenarbeit bei Sonnenuntergang, hm das klingt gleich viel spannender und ich spüre sofort eine freudige Regung in meinem Körper.