Ich wollte mir soeben eine neue Jacke kaufen. Obwohl es momentan finanziell angespannt ist und so etwas einfach nicht wirklich drin ist. Wenn man vernünftig ist. Aber eine solche Ausgabesperre trifft mich härter als ich es jemals gedacht hätte.
In regelmäßigen Wellen überkommt mich der Druck etwas zu kaufen, Kaufdruck statt Essdruck. Ein erwachsener Anteil in mir schaffte es gerade noch den Notfallknopf zu ziehen, ich rief meinen Mann an, damit er mir die Jacke ausredet. Das tat er auch, leider. Andere Teile in mir hofften nämlich, er würde mich bestärken sie zu kaufen. Weil ich sie doch soooo dringend unbedingt BRAUCHE!
Nachdem dem Drang nachzugeben nun keine Option mehr war musste ich irgendwohin mit den Gefühlen. Also vielleicht genauso erforschen wie ich den Essdruck erforsche.
‚Warum willst du diese Jacke?‘
Ich will mich gut fühlen, schön fühlen.
‚Und dann? Wenn du dich schön fühlst?‘
Dann genieße ich das Leben und spüre Leichtigkeit und Freude und Vertrauen.
‚Du hast dir schon so oft etwas gekauft? Hat das geklappt mit der Leichtigkeit und der Freude und dem Vertrauen?‘
Nein, das hat nicht geklappt, vielleicht ganz kurz im Rausch des Neuen.
‚Ist das also ein wirklich gutes Mittel die Jacke zu kaufen?‘
Nein das ist es nicht.
Nein, das ist es nicht, diese Erkenntnis lässt die Tränen fließen. Der Drang die Jacke zu kaufen lässt nach. Eine Traurigkeit macht sich breit, Trauer, dass ich nicht weiß, wie ich mehr Freude und Vertrauen in mein Leben bringe.
Und doch ist auch eine Weite in meinem Körper, die Spannung, die der Drang vorher verursacht hat, ist weg und macht einer Weichheit und Wärme Platz.
Ich bin sehr berührt. Sich mit seiner Wahrheit zu verbinden, wie auch immer diese aussieht, ist immer wieder das schönste Gefühl, Erleichterung, Wärme, Vertrauen und Liebe in einem.
Es bleibt ein ungelöstes Rätsel, warum ich trotzdem versuche, genau diese Wahrheit immer wieder zu verdrängen, zu vermeiden, vor mir selbst zu verstecken. Dabei habe ich schon so oft erlebt, dass es meine einzige wahre Sehnsucht ist, mich mit der Wahrheit in mir zu verbinden, das einzige Zuhause in das ich zurückkehren kann.
Wie Geneen Roth sagt: ‚Unterschätze nie deine Tendenz zu flüchten‘, so ist der Impuls die Augen zuzumachen und das nicht Gewollte von sich wegzuschieben einfach evolutionär in uns eingepflanzt. Es taucht immer auf, und wird auch in Zukunft immer wieder auftauchen.
Egal wie viel wir schon wissen, wie viel Arbeit wir schon geleistet haben um uns kennenzulernen, um uns mit uns zu verbinden und uns wertzuschätzen, egal wieviel schöne Erfahrungen wir schon gemacht haben, als wir diese wundervollen Momente erlebt haben, in denen wir ganz mit uns verbunden waren, das alles wird uns beim nächsten Mal nichts nützen. Es wird keine ‚ich fühle jetzt alles, egal wie sehr ich das nicht will‘ Automatik anspringen.
Nein, es braucht immer wieder eine bewusste Entscheidung. Ein bewusstes Stopp. Jedes Mal wieder. Und auf diesem Weg sind unsere Süchte die größten Helfer. Der Essdruck, der Kaufdruck oder was auch immer für ein Drang gerade versucht das Steuer zu übernehmen, sie sind die Anzeiger, dass wir gerade vor uns selbst flüchten was das Zeug hält. Sie sind ein Tor, durch das wir gehen können um uns wieder zu verbinden. Wenn wir es wollen.
Und dazu brauchen wir gar nicht das Problem zu lösen, nein, allein die Wahrheit aus den Tiefen des Unbewussten ans Tageslicht holen reicht. Ich muss nicht sofort irgendetwas tun um die Leichtigkeit, die Freude und das Vertrauen, nach denen ich mich sehne zu erreichen, bevor der Drang und das Unwohlsein nachlassen. Es ist fast, als sei die Wahrheit Leichtigkeit, Freude und Vertrauen.
Die Wahrheit allein reicht und ich bin wieder verbunden. Daheim in meinem warmen, wohligen, weichen inneren Zuhause. Mehr brauche ich nicht in diesem Augenblick. Ich habe alles.