Meine Bestimmung

Ich habe keine Lust mehr falsch zu sein. Zu dick, zu unordentlich, zu langsam, zu müde, zu unmotiviert, ohne zu wissen was meine ‚Bestimmung‘ ist, zu viel Geld ausgebend, ach die Liste ist endlos.

Ich schaue nach wie vor mein Leben durch diese Brille an. Was ist nicht gut genug, was soll verbessert werden? Denn dann, dann wird es mir endlich gut gehen.

Das Wissen, so ein inneres Wissen, dass das so nicht gehen kann, ist nicht neu, aber zur Zeit kommt es wieder verstärkt in den Vordergrund. Wie soll ich mich jemals gut fühlen, wenn es doch immer etwas gibt, was nicht passt? Später, wenn das und das eingetroffen ist, dann wird es mir bestimmt gut gehen.

Aber ich habe schon sehr oft Dinge erreicht, dieses Wohlgefühl aber fast nie. Ich sage fast, weil es durchaus kurze Momente gab, Wimpernschläge von Augenblicken, in denen die Zeit still zu stehen schien und es nichts zu wollen gab.

Kurz nach einer Vorstellung früher im Ballett, das war so ein magischer Moment, oder als wir geheiratet haben, oder direkt nach der Geburt meiner Kinder. Also in meinem Leben sagen wir mal rund 30 Wimpernschläge, die meisten davon vor meinem 18 Lebensjahr.

Ich glaube, dass ich auch deswegen fünf Kinder bekommen habe, weil ich diesen Moment wieder erleben wollte. Alles war perfekt, Schmerzen, Wunden oder Anstrengung zählten nicht.

Lange dauerte das nicht an, bald überwog die Anstrengung, der Schlafmangel, und das gewohnte Unwohlsein war zurück.

Ich will nicht mehr verkehrt sein und ich will mich nicht mehr unwohl fühlen, so als Dauerzustand. Und passend dazu stieß ich vor ein paar Tagen auf folgenden Satz (frei zitiert von Ariel und Shya Kane): Was wäre wenn wir unser Leben so leben würden, als wäre es in jedem Augenblick perfekt? Einfach weil es ist?

Es ist, also ist es richtig. Und zwar nicht nach dem Motto, na ja, was soll man machen, es ist eben so, sondern im Gegenteil, genau hier zu stehen und das zu erleben ist meine Bestimmung.

Also was wäre, wenn wir unser Leben so leben würden, als ob jeder Augenblick, egal wie er ist oder wie wir ihn finden, unsere Bestimmung wäre?

Seitdem lässt mich das nicht mehr los, das mit der Bestimmung. Wenn ich die Wäsche waschen muss, denke ich: Was wäre, wenn das jetzt genau meine Bestimmung wäre? Hier und jetzt Wäsche zu waschen. Oder mich mit meinem Mann zu streiten. Oder vom Dauerstreit der Kinder genervt zu sein. Oder die Küche aufzuräumen.

Alles wird plötzlich bedeutungsvoll, nichts ist mehr wichtiger oder nichtiger als anderes.

Und nachdem ich einige Tage mit dieser Frage schwanger gegangen war, fiel das Thema der heutigen Meditation auf einem fruchtbaren Boden.

Wie kann ich dienen?

Wenn ich bisher diesen Satz oder dieses Konzept gehört habe, bekam ich Krätze. Ich schüttelte mich vor Entsetzen. Dienen? Ich? Das ist ja noch schöner, niemals!

Die Vorstellung zu dienen war verbunden mit Knechtschaft, Darben, Ausgeliefertsein, nicht zählen. Dienen ist ja toll für die anderen, und was ist mit mir? Wer dient mir?

Interessanterweise habe ich in der Tat eine ganze Menge Leute, die mir dienen. Half aber trotzdem nichts.

Heute also dieses Thema in der Meditation, vorher schon zufällig, oder eben nicht ganz so zufällig, darüber in zwei verschiedenen Zusammenhängen gelesen.

Und als ich mir also die Frage stellte: Wie kann ich dienen?, kam keine Abscheu, kein Schütteln, kein Ekel. Es fühlte sich richtig an zu dienen indem ich Wäsche wasche, das Büro mache, auf das Geld besser achte, die Küche aufräume, überhaupt für diesen ganzen Familienbetrieb zuständig bin.

Das ist meine Bestimmung, jetzt gerade. Es war so schön das zu fühlen, ich glaube zu ersten Mal. Bilder habe ich schon oft gesehen, aber sie waren ohne inneres Gefühl. Weil die Abscheu vor dem Dienen viel größer war.

Immer wenn ich mir heute diese Frage gestellt habe, ist mir etwas eingefallen was gemacht werden muss. Wäsche, Martinsgänse für den Kindergarten backen, staubsaugen. Und dann wurde es bedeutend und erfüllend, meine Bestimmung. Danke.

3 Gedanken zu „Meine Bestimmung

  1. Ich hatte auch erst mal Probleme damit! Denn bis jetzt war es in meinem Leben immer so, dass „dienen“ tatsächlich hieß, andere zu „be“-dienen. In dem Sinn, dass ich buchstäblich gezwungen war, deren ganz persönlichen individuellen Wünschen und Bedürfnissen nachzukommen, und über meine eigenen hinwegzugehen – die zählten nicht, gar nichts. Das wurde knallhart so erwartet, von meinem Vater, meiner Mutter und am meisten von meiner Schwester. Es war im Familiensystem quasi meine Existenzberechtigung. Und jetzt habe ich diese Muster durch die viele Arbeit an mir erkannt und bediene (da war das Wort wieder, lustig) sie nicht mehr – also ich meine die Muster (trifft aber genauso auf meine Familie zu). Das Ergebnis ist, ich gehöre nicht mehr dazu, ich werde geschnitten und habe keinen Kontakt. Hart, aber eben der Preis, den ich wohl zahlen muss auf dem Weg zu mir selbst.

    Jedenfalls, das echte Dienen hat mit so einer Art von emotionaler Gewalt und Erpressung nichts zu tun. Ich mache es sehr gerne und freiwillig und freue mich darüber, es ist mir sogar ein echtes Bedürfnis. Es geht nicht gegen mich und meine eigenen Gefühle, sondern Hand in Hand mit mir – ich freue mich dann auch, ich habe also eine Win-Win-Situation. Etwas, das Spaß macht und gut ist und tut.

    Vielleicht ist das ja immer knallhart ausgenutzt worden? Sozusagen von den „falschen“ Leuten?

    Sieht ganz so aus…

    • Ja, ich glaube der Unterschied ist ob das wirklich von Herzen kommt und damit auch erfüllt, oder ob wir es tun weil wir meinen, dass wir das müssen, z. Bsp. um den Kontakt aufrechtzuerhalten.

      Und ich glaube auch, dass wir uns erst vom ‚Müssen‘ befreien und dann in einem zweiten Schritt zu dem Herzens-Dienen kommen. Das Pendel muss zuerst in die andere Richtung ausschlagen um seine Mitte zu finden.

  2. Liebe C.

    gestern haben wir darüber gesprochen und als ich es hier gerade las, musste ich ziemlich heftig weinen.
    Ich habe Dir im Sommer gesagt, dass ich dieses Gejammere und Geklage in mir nicht mehr ertragen kann und ich bin anschließend anders mit mir umgegangen.

    Als ich aber gerade las, spürte ich wie unendlich groß meine Sehnsucht ist endlich nicht mehr falsch zu sein, in welchem Bereich auch immer – ich will einfach nicht mehr falsch sein.

    Nach unserem Gespräch gestern habe ich mich auch gefragt, was ist meine Bestimmung und heute bin ich ganz häufig damit konfrontiert worden. Mir ist aufgefallen, dass meine Bestimmung auch ist, da zu sein, wo ich gerade bin und will doch nur in einer Tour weg von da wo ich bin. Dabei zeigt mir das Aussen gerade immer wieder, wie wichtig ich bin und wie gut es ist, dass ich da bin wo ich bin. Dabei diene ich genau da wo ich bin. Ich bewerte es allerdings seit ewigen Zeit als Bedienen und wehre mich.

    Die Person, die nicht anerkennt was ist, bin ich – hauptsächlich ich. Heute früh, hatte ich sehr starke körperliche Schmerzen und auf dem Weg in die Praxis verfluchte ich mich mit allem was ist und als ich an der Rezeption saß, kam eine Patientin zu mir und legte ihre Hand auf meine und sagte einfach nur:“Ihnen geht es nicht gut, nicht wahr?“ Mir schossen Tränen in die Augen und ich schüttelte den Kopf und sagte nur, dass ich gerade nicht darüber reden könne, weil sonst der Tag gelaufen sei. Sie sah mich mitfühlend und nickte und ging zurück ins Wartezimmer.
    So unglaublich viel Mitgefühl lag in dieser Geste und ich merkte in dem Moment, wie grässlich ich zu mir sein kann, ganz besonders wenn ich Schmerzen habe und wie sehr ich manchmal darauf warte, dass mir das Gegenüber endlich sagt wie schrecklich und unmöglich ich bin, aber es kommt nicht mehr und wenn nur ganz selten.

    Ist es Bestimmung das ich dort bin wo ich bin? Ja wahrscheinlich, damit ich sehe, fühle und begreife und endlich erkenne, dass ich nicht so schrecklich bin, wie ich denke das ich es bin. … ich will selber einfach nicht mehr denken, dass ich falsch bin, so wie ich bin. Ich hab so eine Sehnsucht danach, so eine tiefe Sehnsucht.

    Vielen lieben Dank für Deine Anregung und unser Gespräch und Dein Teilen hier.

    Ganz liebe Grüsse
    Sabine

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