Manchmal möchte ich mich nur verstecken, weit weg in einer Höhle, wo niemand ist und niemand sein wird, auf ewig.
Das ist das Bild, das mir mein Unterbewusstsein gibt, wenn es mal wieder vollkommen überwältigt ist. Geh weg, weg, weg, so weit weg wie möglich.
Früher dachte, ich, ich muss wirklich weg, alles ändern, mit allem aufhören, komplett neu anfangen. Heute weiß ich, das ist ein Muster. Ein sehr tiefes Muster, dass sehr oft auftaucht, aber doch nur ein Muster.
Heute ist mal wieder so ein Tag, zu viel Unvorhergesehenes, zu viel vermeintliche Gefahr, zu viel, was nicht kontrolliert und gelenkt werden kann. Unerträglich für diesen Teil in mir, der verzweifelt nach Sicherheit sucht. Eine Sicherheit, die es niemals finden wird. Aber das zu sehen, kann es nicht ertragen.
Also sucht es zuerst einen Ausweg, eine Möglichkeit den Lauf der Dinge zu beherrschen, kontrollieren, planen, lenken. Das kostet viel Kraft und Anstrengung und ist meistens völlig sinnlos. Außer Anstrengung nichts gewonnen.
Wenn aber der Moment kommt wo all die einzelnen Stränge im Blick zu haben und zu versuchen alles zu kontrollieren überwältigend wir aufgrund der schieren Menge an einzelnen Informationen, dann beginnt die erste Stufe der Überwältigung. Das Nervensystem ist total angespannt, die Atmung ist flach, der Körper eine einzige Spannung. Hier kommt erst der Versuch mich zu beruhigen, tief zu atmen, meine Anstrengungen strategisch zu denken und zu planen zu erhöhen, also noch mehr vom gleichen. Helfen tut es nicht. Aber das kann ich da noch nicht sehen.
Und dann kommt noch das Leben ins Spiel, indem es alles wieder ganz anders laufen lässt als geplant, mir Bälle zuwirft an die ich nicht gedacht habe, an die ich nicht denken konnte, die ich auch einfach nicht fangen kann, weil es nicht in meiner Macht liegt.
Je nachdem versuchte ich vielleicht trotzdem noch einige aufzufangen, bis ich aber so bombardiert werde, dass ich kapitulieren muss, ich muss zugeben, dass ich keine Kontrolle habe.
Und das ist der Moment des Zusammenbruchs, des ‚ich will weit weg alleine in einer Höhle sein‘ Zusammenbruchs. Weil zu erkennen, dass ich keine Kontrolle habe totale Vernichtung bedeutet. Unabwendbare Katastrophe. Das ist das Muster. Tief verwurzelt. Aus frühester Kindheit.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich als Kindergartenkind schon in meinem Kopf Plan A, B, C, D durchdekliniert und wiederholt habe um in jeder Situation, die meinem kleinen Gehirn einfallen wollte, sicher zu sein. Damals hat es gereicht. Es hat mich beruhigt. Für jede Situation eine Lösung und das übe ich richtig, so wie ich ein Gedicht auswendig lerne und dann ist alles gut. Vielleicht habe ich deswegen so ein gutes Gedächtnis. Die Bewältigung von frühkindlichem Trauma kommt mit jeder Menge dysfunktionaler Muster daher, aber auch mit Skills, mein gutes Gedächtnis ist einer davon.
Und was nun? Alles zurücklassen und total neu anfangen ist eine Möglichkeit, habe ich schon gemacht in meinem Leben, hat nicht funktioniert. Natürlich. Man nimmt sich selbst mit und nach nicht allzu langer Zeit hat mich das Muster wieder eingeholt. Weil es egal ist was es versucht zu kontrollieren, das alte Leben oder das neue, dass es überhaupt versucht zu kontrollieren ist das Problem.
Die nächste Stufe war herauszufinden welche Gedanken und Glaubenssätze dieses Muster bilden. Und da gibt es einige, aber sie zu hinterfragen oder zu ändern oder zu sehen auf einer Verstandesebene, dass sie nicht wahr sind hat auch nicht geholfen. Entgegen der verbreiteten Meinung, dass wir nur unsere Gedanken ändern müssen oder unseren Gedanken nicht glauben sollen und schwupps, schon haben wir kein Problem mehr.
Das glaube ich schon eine Weile nicht mehr. Ja, ich hatte auch eine solche Phase. Aber während das für eher oberflächliche, quasi nicht so wichtige Gedanken vielleicht zutrifft, und es auf jeden fall so ist, dass Gedanken unsere Körperreaktionen beeinflussen, ist das aus meiner Erfahrung nicht die Lösung für den Umgang mir tiefen Mustern. Weil hier der Körper steuert. Er reagiert so schnell auf Trigger, die uns gar nicht bewusst sind, dass wir nicht mal einen Gedanken dazu haben. Die Gedanken kommen im zweiten Schritt als Reaktion auf die Körpersensation, sie versuchen also uns die Körperreaktion zu erklären.
Ich habe also mit den Glaubenssätzen gearbeitet, und sie zu kennen halte ich für sehr wichtig, on man sie ändern kann ist eine andere Geschichte. Ich kenne also meine Sätze wie: ‚Das Leben ist gefährlich, andere Menschen sind gefährlich, du bist falsch, egal was du machst du bist falsch‘, ja, das wären so die tiefsten im Moment.
Und auch wenn ich sie durch Hinterfragen als nicht 100% wahr entlarven kann, so macht es nichts mit mir. Denn der Teil, der sie glaubt, also diese automatische Körperreaktion ist trotzdem da. Etwas in mir, und das ist nicht der Verstand, glaubt es einfach und leidet entsprechend und reagiert entsprechend. All die Methoden aus Therapie und Spiritualität, die ich angewendet habe, um nicht mehr leiden zu müssen haben zwar immer mehr Konditionierung aufgedeckt aber auch nicht mehr.
Was also tun? Ich habe mir versprochen mich nicht mehr ändern zu wollen. Damit meine ich, damit aufzuhören, Teile von mir oder Zustände oder Gefühle wegmachen zu wollen. Selbst wenn ich sie nicht will, sie dürfen da sein, selbst wenn ich nicht will, dass sie da sind, dann darf ich nicht wollen dass sie da sind. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber das ist befreiend. Nicht befreiend im Sinne von ‚mir geht es nie mehr schlecht‘ sondern befreiend im Sinne von: ‚ich muss nicht anders sein als ich gerade bin‘.
Wenn ich überfordert bin, dann darf ich das sein, ich muss nicht versuchen mir selbst zu erklären, warum ich keinen Grund habe, überfordert zu sein. Wenn ich irrationale Ängste habe, dann darf ich sie haben, ich muss nicht versuchen mich selbst davon zu überzeugen, dass ich keine Angst haben brauche. Wenn ich grundlos weinen muss, dann weine ich grundlos, ich muss nicht krampfhaft nach einem Grund suchen, damit ich weinen darf.
Ich darf mir selbst alles erzählen, egal was, muss nichts vor mir verstecken und nichts wird kritisiert oder versucht es als unwahr, irrational und übertrieben kategorisiert.
Das ist eine solche Entspannung für all die Teile, die sich andauernd verstecken müssen, weil sie wissen, dass was sie zu sagen haben nicht gern gehört wird. Von mir nicht gerne gehört wird.
Natürlich habe ich das gelernt, wie man zu sein hat, welche Gefühle und Zustände erlaubt sind und welche nicht, was übertrieben, irrational und übertrieben ist, was die richtige Art zu sein ist und die falsche. Aber es ist Zeit all das zu verlernen.
Wer weiß eigentlich überhaupt was richtig und falsch ist? Das sind letztlich nur Konstrukte und auch wenn solche generellen Regeln hilfreich sein können, können sie auch manchmal auf total falsch und menschenfeindlich sein. Und was sie sind, ist immer relativ. Wir sollten ihnen nicht erlauben unser eigenes Gefühl für richtig und falsch aufzuheben.
Denn wir haben so etwas, ein Gefühl was für uns in diesem einen Moment gerade das Richtige ist, manchmal passt es zur allgemeinen Ansicht und manchmal eben nicht.
Und keinen Teil von mir, egal wie vermeintlich dysfunktional, als falsch zu betrachten ist das richtige für mich zur Zeit. Woher ich das weiß? Weil dann mein System sofort entspannt. Und das fühlt sich gut an. Nichts hat sich geändert aber das System entspannt. Diese Entspannung ist es, die ich mit meinen verzweifelten Kontrollversuchen zu erreichen versuche, dabei geht es einfacher, indem ich das Gegenteil mache, aufhöre mich zu kontrollieren, meine Gefühle, Empfindungen, Sensationen, Stimmungen. Mich einfach lasse wie ich bin, mit allem was dazugehört.
Lustigerweise muss ich offensichtlich diesen ganzen Kreislauf immer wieder von neuem durchleben bis zur Kapitulation, dann erst fällt mir ein, dass ich mich auch so lassen könnte wie ich bin, aber vielleicht gehört das Durchleben des Kreislaufs auch zu dem wie ich gerade bin, und da ich es offensichtlich nicht ändern kann, lasse ich das auch so wie es ist. So what?