Oh du mein Körperbild!

Ich bin nun schon eine ganze Weile unterwegs auf meinem Weg mich von Vorgaben und Kontrolle von außen zu befreien und mich nach meinem inneren Kompass zu richten.

Ich gebe meinem Körper die Bewegung, die er braucht (das fällt mir am leichtesten als Bewegungsmensch), ich gebe meinem Körper in der Regel das Essen, das er braucht (übe ich nun schon seit vielen Jahren), oft in der Menge, die er braucht (leichtes Überessen ist immer noch notwendig, aber das ist ok), ich lerne zur Zeit meinem Körper die Entspannung zu geben, die er braucht (eine ziemliche Baustelle, mein Nervensystem ist die meiste Zeit sympathikusaktiviert, angespannt im Flucht-und Kampfmodus).

Ich habe akzeptiert, dass mein Körper nun mal zur Zeit dieses Gewicht hat und das ist ok. Zumindest fast. Denn dieses Gewicht bedeutet eines: dass ich auch darauf verzichte mich schön zu finden. Bei all der Arbeit kann ich eines nicht: meinen Körper schön finden. Ich kann ihn akzeptieren, ihm quasi neutral gegenüberstehen, ohne Ablehnung aber auch ohne Bewunderung.

Man könnte sagen: na gut, es muss ja nicht jeder schön sein. Aber es geht nicht darum, dass ich mich im Vergleich zu anderen schön finde, sondern dass ich mich uneingeschränkt wohl fühle und mich nicht mehr für meinen Körper schäme.

Normalerweise tue ich das auch nicht. Bewege ich mich in meinem gewohnten Umfeld, und treffe Menschen, die mich schon kennen, trage ich die gewohnte Kleidung, dann denke ich über meinen Körper nicht mehr nach (das war auch mal anders). Dann fällt mir auch nicht auf, dass ich nie ärmelfrei trage, nie eng, nie kurz.

Komme ich in neue Situationen, wie zum Beispiel eine Einladung zu einer Hochzeit oder zu einer Filmpremiere sterbe ich im Vorfeld tausend Tode und überlege mir fieberhaft welche Ausrede ich benutzen könnte um da nicht hin zu gehen. Weil ich müde bin, oder keine Zeit habe, oder es mich nicht interessiert, bis die Wahrheit sich unweigerlich zeigt: ich will mich nicht zeigen. Ich will mich nicht all den Blicken aussetzen, die mich bewerten und verurteilen, ich will mich nicht schämen. Natürlich bewertet und verurteilt mich kein anderer so gnadenlos wie ich selbst.

Ich weiß ja auch wo es herkommt. Im Ballett war nur eine Figur akzeptabel: dünn und androgyn, keine Formen, keine Kurven. Und das hat sich ganz tief in mich eingebrannt, dass ist das heimliche Ideal.

Und egal wie viel ich schon hinterfragt habe, daran gearbeitet habe, es bleibt. Auch wenn die meisten Menschen es nicht so sehen. Ich habe mal mit Kolleginnen eine Tanzsendung angeschaut. Eine der Tänzerinnen hatte Kurven und Formen und eine war absolut stromlinienförmig, und während ich voller Bewunderung für die zweite war, fanden sie alle anderen viiieeel zu dünn.

Irgendwie kein Wunder, war das unser kollektives Ballettideal. Jahrelang, jahrzehntelang habe ich nichts anderes gemacht als Körper unter diesem Gesichtspunkt anzuschauen, die guten, dünnen, stromlinienförmigen ins Töpfchen, die schlechten, dicken, kurvigen ins Kröpfchen.

Alle meine Versuche, mein Körperbild zu verbessern sind bisher gescheitert. Dazu muss ich sagen, dass meine Körperwahrnehmung sehr gut ausgebildet ist, ich spüre meinen Körper, ich kann ihn bewegen, ich habe Kraft, Ausdauer, daran liegt es nicht. Solange ich mich nicht im Spiegel anschaue oder mich durch den Spiegel der anderen sehe.

Mich im Spiegel anzuschauen und mich unterhalb des Gesichts schön finden, das geht nicht. Ich habe schon viele Versuche des ‚in den Spiegel Schauens und etwas Schönes an sich Findens‘ gestartet. Na gut, das Gesicht, die Hände, das ist alles gut, aber weiter kann ich nichts Schönes finden.

Dilemma, Dilemma, Dilemma. Aber dann brachte mich eine Übung von Sara Wiseman auf eine Idee. Sie schlägt vor, sich die Körper anderer Leute anzusehen, ob dick, dünn, schön, hässlich, und eine Haltung der Akzeptanz und des Mitgefühls zu entwickeln und dann sich zu bemühen hinter die Fassade des Körpers zu schauen und den Menschen dahinter wahrzunehmen.

Und da verstand ich: Ich habe mindestens 35 Jahre intensiv geübt die dünnen Körper schön zu finden und die dicken hässlich, ich habe es gut geübt, so gut, dass ich mich nicht an eine Zeit erinnern kann, als es anders war.

Was ist, wenn ich jetzt übe, jeden Körper gut zu finden? Denn ich habe zuerst all die anderen dünnen Körper bewundert, bevor ich diese innere Vorgabe für Schönheit entwickelt habe. Und bewundert habe ich sie, weil Jemand (die Ballettszene) mir gesagt hat, dass nur das schön ist.

Und wenn ich das jetzt umgekehrt mache? Ich bin der Jemand, der mir sagt, dass jeder Körper schön ist, und nun übe ich diese Sichtweise intensiv, mache neue Erfahrungen. Ist ein Versuch wert. Wenn ich andere Körper anders sehen kann, kann ich vielleicht auch meinen Körper anders sehen. Und bei den anderen anzufangen ist erwiesenermaßen einfacher als bei sich. Anderen können wir leichter Unperfektion zugestehen als uns selbst.

Konkret hat diese Übung diese Schritte (frei nach Sara Wiseman):

  1. Andere Körper anschauen und die (automatisierte) Reaktion wahrnehmen, die sie verursachen
  2. Mitgefühl für meine Reaktion zeigen: ob sie ‚Oh, das will ich auch‘ heißt oder ‚wie hässlich‘, es zulassen und nicht verurteilen
  3. Den Menschen dahinter bewusst wahrnehmen, vielleicht sehe ich dann etwas Schönes oder auch nicht, unabhängig von meinem Urteil über den Körper.
  4. Wahrnehmen wie sich das Sehen des Menschen hinter dem Körper auf mein Urteil über den Köper auswirkt.

Mir geht es nicht darum, andere Körper zu akzeptieren, das tue ich schon. Selbst meinen eigenen Körper kann ich sein lassen wie er ist.

Ich will aber weitergehen, ich will mein enges Bild von Schönheit erweitern. Denn akzeptieren und schön finden sind zweierlei Dinge. Und ich will mich nicht nur akzeptieren, ich will mich schön finden.

Ich definiere mein altes Bild von Schönheit neu. Das finde ich spannend, so aufregend wenn ich mir vorstelle ich könnte in jedem und überall etwas Schönes sehen.