Einfach leben

Was würde ich tun, wenn es keine Konsequenzen hätte? Wenn es keine Grenzen gäbe oder ich morgen tot wäre? Wofür brenne ich? Solche Fragen, die man heutzutage an jeder Straßenecke hört, nerven mich. Weil ich es nicht weiß.

Ich weiß es einfach nicht. Diese Übung habe ich schon tausend Mal versucht. Aber ich bekomme keine Antwort. Ich brenne für nichts und ich habe auch nichts was ich noch dringend erleben will. Ich sehe keine Reise, die ich noch machen will, keinen Planeten, den ich noch retten will, keinen Berg, den ich noch erklimmen will, kein Buch, das ich noch schreiben will, einfach nichts. Einfach nichts.

Ok, ich wäre gerne dünner, das ist ein alter Hut und tun kann ich da eh nichts. Das gilt also nicht. Neulich habe ich in einer Arbeit, in der es um meine Angst vor Menschen ging, herausgefunden, dass dünn Sein mein Schutzschild ist, wenn ich dünn bin, bin ich stark und unverwundbar, angstfrei. Offenbar soll ich das alles nicht sein, denn ich bin dick.

Aber nun mal weg von diesem Thema: gibt es nichts wofür ich brenne, wofür ich morgens aufstehen will? Irgendwie nicht.

Vielleicht habe ich einfach alles was ich wollte. Bis auf das Dünnsein, habe ich quasi alles erreicht, was ich mal gewollt habe, den Plan meiner frühen Dreißiger habe ich erfüllt. Und nun? Oh Mann, ich weiß es nicht.

Und trotzdem schlummert in mir eine unbekannte gut bekannte Sehnsucht. Wonach nur? Was ist es? Es ist diffus, lässt sich schwer greifen. Ich spüre sie, wenn ich Menschen auf der Straße sehe, die einfach gehen, oder meine Kinder, wenn sie einfach spielen, oder die Katze, wenn sie einfach liegt. Nichts besonderes, einfach leben.

Ja, ich will einfach leben, anwesend sein in meinem ganz gewöhnlichen Leben, ich will gehen und sitzen und putzen und essen und kochen und spazieren gehen und im Garten arbeiten und mit meiner Familie zusammen sein und das erleben, weil es mein Leben ist. Aber ich gehe und sitze und putze und esse und koche und gehe spazieren und arbeite im Garten und bin mit meiner Familie zusammen aber das fühlt sich immer noch fremd an, wie das Leben einer anderen, nicht meins. Und so stelle ich mir häufig die Frage: Was ist mein Leben, jetzt in diesem Moment? Wer bin ich gerade?

Dieser Satz, den ich so ähnlich irgendwo gehört habe, geht mir nicht aus dem Kopf: es geht nicht darum weniger zu wiegen, sondern mehr zu leben. Ja, mehr zu leben. Ich scheine das Leben irgendwann unterwegs verloren zu haben, verlernt zu haben wie das geht. Es findet nicht mehr wirklich statt, sondern nur in meinem Kopf. Alles muss bedacht, überprüft, sortiert und analysiert werden, bevor es erlebt werden kann, nur dann ist der Moment schon vorbei.

Und dann noch diese Vorstellung, dass ich erst noch was erreichen muss, natürlich was Großes, Bedeutendes, mich ordentlich verbessern muss, damit ich endlich leben kann. Ein Trugschluss. Ich hatte öfter solche ‚wenn dann‘ Phantasien, und endlich angekommen im Wenn kam blitzschnell um die Ecke ein neues Wenn. ‚Dann‘ kommt einfach nie. Dieses geheimnisvolle Etwas, was mich endlich dazu berechtigt sein zu dürfen, kommt einfach nicht. Und nun fällt mir nicht mal mehr ein geheimnisvolles Etwas ein, dem ich nacheifern kann. Vielleicht ist das was Gutes.

Vielleicht mag ich solche Fragen nicht, weil etwas in mir weiß, dass all dieses Suchen zerstörerisch ist. Die Seele folgt eh ihrem Weg und das Leben fließt und alles verändert sich. Suchen brauche ich nicht, es kommt eh alles wie es will. Was wäre, wenn ich nichts suchen müsste, weil alles so ist, wie es eben ist. Und das mal nur bemerke: das was ist, ist mein Leben, gerade. So wie ich bin, bin ich gerade. Es gibt keinen anderen Moment, kein anderes Ich, kein anderes Leben.

Ich bin die, die gerade vor dem Bildschirm sitzt und tippt, während die Hornissen konsequent unbelehrbar gegen die Scheibe knallen und der Hund durch das Zimmer tapst und die Katzen sich jagen, die, die traurig ist und nicht weiß wieso und die Traurigkeit einfach durchziehen lässt und die Sehnsucht einfach unbekannt sein lässt, weil es einfach so ist und die gerade erlebt, dass Schreiben immer wieder einen Stöpsel zieht und was auch immer wieder fließen kann und die lächelt, während die Tränen laufen, weil es irgendwie schön ist, tragisch und melancholisch und aufwühlend und still in diesem meinem oder doch nicht meinem Leben, das ich lebe ob ich es merke oder nicht.

Und wenn ich dann doch für was brennen sollte, dann werde ich es tun, ganz natürlich, da brauche ich vorher keine Übung und keine Frage und kein Nachdenken. So wie ich einfach Lust bekomme einen Kuchen zu backen oder gegrillten Paprikasalat zu machen oder das Beet umzugestalten und dann mache ich es einfach. Dann brenne ich wohl in dem Moment fürs Kuchen backen und Paprikasalat machen und Beet umgestalten.

Diese ganze Nummer ist nur eine Momentaufnahme. Mehr wissen wir sowieso nie. Nur was im Moment gerade ansteht. Was das Leben gerade von mir will. Und gerade brenne ich darauf Wasser zu trinken, weil ich Durst habe. Eigentlich brenne ich dauernd für etwas und folge dem recht konsequent.

Ich würde sagen: ich lebe einfach, zumindest manchmal.