Regieanweisungen

Ich bin ein wenig kränklich. Seit zwei Tagen. Sehr schwer für mich zu ertragen. Mich körperlich unwohl zu fühlen ist für mich der Horror.

Wieder eine schöne Gelegenheit zur Flucht.

Heute geht es schon ein wenig besser. So gut, dass mir wieder auffällt, wie wenig ich mit mir anfangen kann. Ich stehe daneben, schaue mir zu und staune. Sicher, ich könnte die Küche machen, aufräumen und son Zeug, aber das mache ich alles nur, wenn es nicht mehr anders geht.

Ich könnte die nächsten Minuten, oder auch Stunden, machen was ich will. Und mir fällt nichts ein. Sport geht nicht, zu krank dafür. Schlafen auch nicht, zu wach dafür. Üblicherweise beame ich mich dann weg mit lesen. Das geht auch nicht mehr, seit mir bewusst ist, seit ich gemerkt habe, dass ich mir das nächste Buch oder den nächsten Artikel hole noch bevor ich den vorherigen fertig gelesen habe, damit kein Loch entsteht, damit die Sucht zu ihrem Recht kommt. Immer das Selbe.

Jetzt sitze ich hier und frage mich was nun? An dieser Stelle hänge ich. Das Alte geht nicht mehr, aber etwas Neues ist nicht in Sicht.

Mit fällt grad ein, hier und jetzt ist mein Leben, genau so wie es gerade ist. Ok, also wie ist es gerade?

Schwupp, ist mir schon eine Email eingefallen, die ich noch schreiben wollte. Ein Teil will das bewerten, so nach dem Motto, jetzt drückst du dich vor dem Leben mit neuen Aufgaben, die dir einfallen.

Aber warum eigentlich, warum darf es nicht sein, dass ich ein wenig dies und ein wenig das mache? Warum darf es nicht sein, dass mir nichts einfällt, was ich machen kann? Warum darf es nicht sein, dass ich mich bescheiden fühle? Lustlos? Schwer? Müde? Krank?

In meinem Kopf ist der Teufel los. Ich fühle wie es richtig abgeht, jeder kämpft gegen jeden.

Wenn ich solch unerhörte Fragen stelle kommt mein Gehirn nicht mehr mit. Nicht wie ich bin ist das Problem, sondern das was das Gehirn darüber denkt. Es ist programmiert auf kategorisches Somussessein. Und dabei sehr lern-und anpassungsfähig. Alles was neu dazu kommt, wird sofort in ein absolutes, unter allen Umständen zu befolgendes Prinzip umgebaut.

Gestern muss ich ständig Sport machen, heute soll ich auf keinen Fall Sport machen und morgen muss ich wieder Sport machen, aber NUR wenn ich wirklich Lust habe. Gestern soll ich stark sein, heute soll ich jeder Schwäche nachgeben, und morgen soll ich bitte genau hineinhören ob es notwendig ist oder nicht. Gestern soll ich positiv denken, heute soll ich nicht verdrängen und morgen soll ich dankbar sein und, und, und. Aus allem wird eine Regel, die es zu befolgen gibt, aus allem wird eine Gelegenheit etwas falsch zumachen, aus alles wird Stress es zu schaffen und Unglück wenn es nicht klappt.

Für die Eltern-Kind-Gruppe EntdeckungsRaum gibt es einen Grundsatz: ‚Das einzige Dogma ist kein Dogma‘. Der fällt mir jetzt ein.

Denn genau darum geht es. Die Regeln und Vorgaben Regeln und Vorgaben sein zu lassen, und zu schauen: Wie ist es eigentlich wirklich? Wer oder was bin ich? Was mache ich hier? Wie ist es?

Ich mache eine Meditation in der ich um Führung bitte, darum, dass mir gezeigt wird, was der nächste Schritt ist:

‚Schau es an, schau nicht weg, egal was du siehst. Das ist dein Leben. Du wirst lernen, zu akzeptieren, dass du nicht weglaufen kannst, dass es nichts gibt wovor es wegzulaufen gilt. Deine Aufgabe, dein nächster Schritt ist, die Augen aufzumachen und dich umzuschauen. Mit offenem Blick. Alles ist neu. Schau einfach. Mehr nicht. ‚

Ich beobachte mich am Schreibtisch sitzend, den Kopf nach rechts drehend und darüber nachdenkend. Mir fällt ein, dass ich als Kind viel mit einer solchen Beobachterposition gespielt habe. Ich habe mir ausgedacht wie ich sein will, habe das so auch gemacht, die Rolle gespielt, habe mich dabei aber immer beobachtet und mir selbst Regieanweisungen gegeben. Damals wusste ich noch, dass das ein Spiel ist.

Wer beobachtet, wer gibt die Regieanweisungen? Ist das ganze Dilemma vielleicht nur, dass mein innerer Regisseur verkrustet ist und immer nur das ewig gleiche Drama inszeniert? Vergessen hat, dass alles nur ein Spiel ist?

Das kling schon wieder unerhört, ruft alle EF auf den Plan. Spiel? Inszenierung? Wie kannst du nur mit dem Leben so leichtfertig umgehen? Das Leben ist etwas furchtbar ernstes, total schwer und anstrengend und wichtig und bedeutend. Das wird nicht inszeniert und beobachtet und verändert und gespielt.

Ach so? Was wird es denn dann?

Ertragen.

Oh.

Im Gehirn raucht es wieder. Ich beobachte mich, wie ich versuche alles in eine logische Form zubringen. Geht nicht, ich schüttele mich.

Ertragen bedeutet doch, dass man nichts beeinflussen kann, oder?

Genau. Kann man doch auch nicht.

Doch, sich selbst kann man schon beeinflussen. Wie ich mich verhalte, wie ich antworte auf das was geschieht, das kann ich beeinflussen. Das ist meine Freiheit. Ich muss nicht immer gleich reagieren und das dann ertragen. Irgendwann habe ich mich schließlich für diese Reaktion entschieden. Das kann ich auch wieder ändern. Das ist kein lebenslanges Urteil.

Gefühlt kann ich alles sofort ändern. Ich kann mir immer vorstellen wie ich mich fühlen werde. Mein Mann, ein ganz extremer Kettenraucher, hat vor vier Monaten einfach so mit dem Rauchen aufgehört. So unauffällig, dass KEINER, weder ich, noch die Kinder, noch die Mitarbeiter es bemerkt haben. Mich hat er nach drei Wochen darauf hingewiesen, die Mitarbeiter haben es von einem Kunden gehört, dem ich es erzählt habe, sonst hätten sie es bis heute nicht bemerkt.

Er hat mir erzählt, dass er schon vor über einem Jahr damit angefangen hat sich vorzustellen, wie er sich fühlen wird, wenn er von den Zigaretten frei ist, wenn er nicht mehr darauf angewiesen ist sich bei Wind und Wetter und in jeder Situation draußen hinzustellen. Und irgendwann konnte er aufhören.

Ich finde das faszinierend. Auch wenn meine EF das unter Illusion und Vorspiegelung falscher Tatsachen einordnen. Aber die sind ja sowieso gegen alles Leichte, gegen alles Zauberhafte, gegen alles Spielerische, etwas anderes kann ich von ihnen gar nicht erwarten.

Ich stelle mir jetzt vor, wie ich mich fühlen werde, wenn ich dünn bin. Ich spüre mich kraftvoll und leicht, entspannt und energiegeladen, frei in der Auswahl meiner Kleidung, frei mich zu bewegen, viel zu bewegen. Es ist so schwer sich mit all dem Gewicht viel zu bewegen. Dann habe ich wieder mehr Kraft und kann die Geschmeidigkeit und Beweglichkeit meines Körpers mehr genießen, weil ich sie wieder voll nutzen kann, jetzt wird sie vom Fett gestoppt, es kann eben nur bis zu einem gewissen Punkt zusammengepresst werden. Ach, wie ich mich danach sehne, wieder mit der ganzen Kapazität meines Körpers zu dehnen.

So, der Samen ist in die Erde gesteckt und angegossen. Nun wird das Pflänzchen gepflegt bis es groß und stark ist und Früchte trägt. Ich freue mich schon.

Und noch was: das Beobachten bringt interessante Ergebnisse. Eben musste ich auf die Toilette. Da fiel mir auf, dort fühle ich mich immer wohl, immer anwesend, lebendig. Warum? Weil ich es nicht in Frage stelle, nicht anzweifle, nicht überlege ob es richtig oder falsch ist. Ich kann den Toilettengang als Notwendigkeit annehmen und einfach dabei anwesend sein.

Also ist es möglich.