Raum für Extreme

Ich finde immer etwas, was das Leben unsicher macht. Und wenn das geklärt ist, dann das nächste. Ich bin sehr sicher, dass das nicht aufhören wird. Die Grundunsicherheit des Lebens ist einfach da, und je älter ich werde, desto bewusster tritt sie in Erscheinung.

Also kann es mir nicht helfen nach Sicherheit zu suchen, sicher wird es nie. Ich brauche die Ruhe unter der Unruhe, die Stille hinter dem Lärm, die Geborgenheit unter der Unsicherheit, das Leben obwohl es ein Problem gibt.

Das habe ich als die Hauptursache für mein Leid identifiziert. Wann immer es ein Problem gibt, steht das Leben für mich still. Und wie?

Ich bin nicht mehr da, ich bin nicht mehr im Körper, ich höre, sehe nichts mehr, kann mich für nichts mehr interessieren, ich bin besetzt von der Unruhe. Es surrt und zirrt und zappelt und zittert.

Alles wir davon übertönt, überdeckt, überlagert. Ich werde zu einem winzigen Punkt und ziehe mich in meinen Kopf zurück, verstecke mich da und warte bis es vorbei ist.

Mir fällt ein was ich neulich gehört habe, dass es darum geht zu lernen ein Raum zu sein für beide Extreme gleichzeitig. Angst und Freude zum Beispiel. Wir tendieren dazu uns auf eine Seite schlagen zu wollen um diesen Widerspruch nicht halten zu müssen, aber das wird uns unweigerlich spalten, weil wir beides sind. Neulich war es mir auch gelungen beiden, der Angst und der Freude, Raum zu geben, aus dem Kampf und der Spannung wurde eine warme, wohlige lebendige Bewegung.

Und jetzt? Was sind jetzt die Extreme? Es ist die Unsicherheit, also Angst und auf der anderen Seite das Vertrauen, das beschützt und aufgehoben Sein auf der anderen.

Ich stelle mir vor, rechts ist die Angst und links das Vertrauen, ich stelle mich in die Mitte und umfasse beide.

Wenn es ok wäre beide zu enthalten, was müsste dann anders sein?

Ich müsste akzeptieren, dass beide gleichberechtigt zum Leben gehören, dass das Leben ohne eines von beiden unvollständig wäre. Das es da nicht um gutes Gefühl – schlechtes Gefühl geht, sondern um Facetten des Lebens, wertfrei.

Sofort schießen mir die Tränen in die Augen. Es ist eine verbundene, innige Traurigkeit, als würde ich endlich ein wenig meine menschliche Natur anerkennen. Auch wenn es schmerzt und aus der Problemlösungsperspektive nicht ändert, so ist es doch das Leben, so ist das Leben, das IST Leben.

Solange ich all das versuche zu vermeiden, lebe ich gar nicht. Ich verstehe immer mehr, warum ich mich so wenig lebendig fühle, die Lebendigkeit schließt den Schmerz mit ein, will ich den Schmerz ausschließen, lebe ich nicht. Das kann ich nicht oft genug wiederholen.

Meine Definition von Leben war bisher: ‚Nur wenn alles problemlos läuft in jeglicher Hinsicht, dann ist das Leben, das sich zu leben lohnt. Jede Störung muss vermieden, bekämpft oder verdrängt werden, weil ein Leben mit Störungen jedweder Art nicht lebbar, nicht aushaltbar ist.‘

Und ich verstehe gut, in welcher Zeit und warum diese Vorstellung entstanden ist, und trotzdem, sie könnte falscher nicht sein. Es ist genau andersherum.

Was auch immer wir ausschließen ist immer nur Leben. Wir trennen uns vom Leben und von uns selbst, bis wir als Zombies herumvegetieren.

Ich bin aus meinem Versteck im Kopf wieder herausgekommen und bewohne meinen Körper bin zum Becken. Ich stelle mich hin, und Wow, ich kann meine Füße bewohnen, ich spüre mein ganzes Gewicht in meinen Füßen, ich spüre den starken Kontakt zum Boden, so konkret habe ich den Boden noch nie gespürt, mein Krampfring flattert, aber kein Würgen heute. Ein Fortschritt.