Eine Welle im Ozean

Früher habe ich gedacht, ich sei eine Welle im Ozean. Eine einzelne Welle, die um ihr Überleben kämpfen musste. Ich machte mir Sorgen um meine Größe, um meine Stärke, um meine Form. Ich verglich mich mit anderen Wellen und dabei schnitt ich nicht gut ab, ich dachte sie hätten etwas, was ich nicht habe. Ich hatte Angst vor Sturm, vorm Zerbersten, vor dem Nichtsein in der ruhigen See. Ich versuchte mich zu verändern, herauszufinden warum ich so war wie ich war und wie ich endlich gut sein könnte. Ich glaubte, weil ich früher viele schlimme Zeiten erlebt habe war ich eine gebrochene Welle, ich könnte nie mehr heil sein, so wie andere Wellen, die fröhlich vor sich hin sprangen und sich so wohl zu fühlen schienen.

Und dann, in einem Moment, aus dem Nichts, sah ich, dass ich ein Teil des Ozeans bin. Der Ozean ist unzerstörbar, also bin ich es auch. Ich bin aus demselben Stoff wie der Ozean. Ob Sturm, Hagel, Eis, tief drinnen ist der Ozean immer still und ruhig, und so bin ich es auch. Der Sturm kommt, der Sturm geht, ich weiß nicht wieso und ich kann es nicht verhindern. Aber das muss ich gar nicht, denn es hat nichts zu bedeuten, nur Sturm. Er geht vorbei und ist was er ist. Und wenn es so ruhig ist, dass ich fast nicht zu sehen bin, dann bin ich immer noch sicher und geborgen im Ozean. Immer.

Mit dieser Metapher bin ich heute Morgen aufgewacht. Sie wurde mir vom Leben durch die kreative Kraft der Gedanken geschickt. Ich habe sie mir nicht ausgedacht, sie war einfach da, wie all unsere Gedanken einfach da sind. Manche bemerken wir, andere nicht, manchen glauben wir, anderen nicht. Und genau diese Aufmerksamkeit, die wir frei richten dürfen auf was auch immer wir wollen, entscheidet über die Qualität unseres Lebens. Ob wir uns wohl fühlen oder nicht. Unabhängig von den Umständen.

Die meiste Zeit meines Lebens wusste ich das nicht. In Zeiten meiner Esssucht hatte ich gelernt, dass es einen Grund gab warum ich aß. Also suchte ich nach dem Grund und fand auch einen. Mit der Zeit lernte ich dem Essdruck nicht mehr nachzugeben, sondern eine Übung zu machen um ihn zu unterbrechen. Also machte ich Übungen, und machte Übungen, intensiv und konsequent. Aber es wurde nie besser. Ich hatte gehofft frei zu sein von Essdruck und mich wohlzufühlen. Aber ich war nicht frei, auch wenn ich nicht mehr essen musste, ‚musste‘ ich Übungen machen, und ich fühlte mich auch nicht wohl. Die meiste Zeit meines Lebens verbrachte ich in einem Zustand von Unwohlsein, Spannung, Ängste und Sinnlosigkeit. Man sagte mir, ich sei traumatisiert, ich hatte eine Kindheit und Jugend geprägt von körperlicher und emotionaler Gewalt. Ich machte Traumatherapie, viele unterschiedliche Verfahren, von SE über Aufstellungen über Arbeit mit dem inneren Kind und jede Menge dazwischen. Ich wurde selbst Therapeutin, machte Traumaweiterbildungen. Und alles brachte kurz Erleichterung. Eben kurz. Insgesamt ging es mir schlecht, mein Grundgefühl war Unglücklichsein. Ich fragte meine Ausbilder: kann es sein, dass wir als Menschen so gebaut sind, dass wir, weil wir etwas Schlimmes erlebt haben, was übrigens die meisten haben, so fürs Leben gezeichnet sind, dass nur sehr schwer zu findende Therapieverfahren, die man auch noch in der Lage sein muss über Jahre zu bezahlen, vielleicht helfen können? Können all die Menschen, die kein Geld und/oder kein Zugang dazu haben nur ein Leben in Unglück verbringen? Die Antwort war Schulterzucken.

In hatte über fast ein Jahrzehnt intensivster Therapie und Ausbildung zwar jede Menge Skills gelernt, aber mir ging es nicht besser. Ich wurde von Ängsten lahmgelegt, von Sinnlosigkeit, von Weinattacken, die über Tage dauern konnten. Ich lernte sie zu akzeptieren und mich damit abzufinden, dass mein Leben eben so aussieht. Und das muss ich sagen, war auf jeden Fall eine Erleichterung und besser als verzweifelt dagegen anzukämpfen.

Letztendlich konnte ich mich damit nicht abfinden. In mir war etwas, das wusste, dass es anders sein muss. Ich suchte weiter.

Und irgendwann fiel mir ein Buch in die Hände von Amy Johnson in dem stand, das wir natürlicherweise gesund und heil sind, und dass alle Verhaltensweisen, die uns schaden nur darauf beruhen, dass wir unseren automatisierten Gedanken glauben und danach handeln. Diese Muster sind entstanden in dem Versuch uns zu helfen, aber jetzt helfen sie uns nicht mehr. Nur weil ein Gedanke da ist, brauchen wir nicht danach zu handeln. Und wenn ein Gedanke da ist, dann fühlen wir auch diesen Gedanken, das wiederum war nichts Neues für mich, das hatte ich all die Jahre schon erlebt. Der Unterschied war, ich hatte gelernt ich muss diesen Gedanken identifizieren, heilen, ändern, die Ursache in meiner Vergangenheit für diesen Gedanken suchen. Jede Menge Arbeit und die Gedanken und schlechten Gefühle waren trotzdem da. Ich war also auf ewig beschäftigt und gefangen.

Jetzt las ich: Du musst nichts tun, Gedanken kommen und Gedanken gehen, neue Gedanken kommen und das passiert ständig und immer, ob du es weißt oder nicht. Du musst weder nach deinen Gedanken handeln, noch dich mit ihnen beschäftigen, denn das hält sie quasi fest und sie bleiben länger als nötig, wobei sie selbst dann irgendwann gehen, es dauert nur länger. Ich war etwas schockiert. Ich dachte auch, das sei ein alter Hut, die meisten Weisheitslehren sagen das auch, hat mir noch nie geholfen.

Aber irgendwie ließ mich diese Sichtweise nicht los. Ich las noch mehr Bücher in diese Richtung, schaute Videos und war fasziniert von den Geschichten der Menschen, die etwas für sich sehen konnten.

Etwas veränderte sich auch bei mir. Zuerst nur das Essen. Ich merkte, Wow, selbst wenn ich Essgedanken habe, ich muss nicht essen und auch den Essdruck nicht weiter beachten. Ende. Damit war meine ganze Beschäftigung mit dem Essdruck von einer Sekunde auf die andere weg. Ich weiß nicht ob ich heute irgendwelche Essgedanken habe, vielleicht, vielleicht auch nicht, ich beachte sie überhaupt nicht mehr.

Aber mir ging es immer noch schlecht. Vielleicht 90 Prozent der Zeit fühlte ich mich schlecht. Aber ich bemerkte ganz erstaunt, dass eben auch 10 Prozent Wohlsein dabei waren, auch wenn sich sonst nichts geändert hatte. Vielleicht stimmte es doch, dass wir natürlicherweise ins Wohlsein zurückfallen, außer wir verhindern es indem wir an unseren Gedanken hängen, die uns schlecht fühlen lassen. Und natürlich wusste ich, dass es mir manchmal gut geht, aber ich dachte das wäre nur eine kurze Pause von meiner eigentlichen Realität, in der es mir schlecht geht. Was wäre aber wenn es andersrum wäre? Wenn das was ich bin wirklich Wohlsein ist, und die schlechten Phasen nur vorübergehende Illusionen?

Über einen Zeitraum von 1,5 Jahren wurde diese Gewissheit immer stärker. Ich merkte es vor allem daran, dass ich mich wohl und klar und gut fühlte, dann in einen Traumaweiterbildungssseminar ging, in dem es immer darum ging, dass wir alle traumatisiert  sind, dass Trauma so schlimme Folgen hat und es lange dauert bis wir geheilt sind und dazu brauchen wir allerhand Verfahren, Menschen oder was auch immer. Wobei da manche seit 10 Jahren ein bestimmtes Verfahren anwendeten und immer noch unglücklich waren. Und mir wurde regelmäßig gesagt, ich sei ein besonders schwerer Fall. Ich kam heim und war wieder tief unglücklich, alles war sinnlos, ich war überzeugt für mich gab es kein Wohlsein auf dieser Welt.

Dann verging Zeit und mir ging es besser, einfach so. Das nächste Seminar oder die nächste Therapiestunde kam. Danach fühlte ich mich wieder total gebrochen und kaputt. Und nach einer Zeit ging es mir wieder besser. Da fing es an mir aufzufallen, konnte es sein, dass es stimmte? Dass ich nur litt, weil ich den Gedanken glaubte, dass ich ein schwerer Fall bin und traumatisiert? Ja, mein inneres Ja war ganz klar. Es dauerte aber eine Weile bis ich bereit war darauf zu hören.

Nach 1,5 Jahren habe ich es getan: alle Therapie und Weiterbildungen abgesagt, weil ich wusste, diese Richtung bringt mich nicht weiter.

In mir, und in uns allen ist Wohlsein und Klarheit und Führung. In uns ist alles was wir brauchen. Das Wissen was für uns gut ist und was unser nächster Schritt ist. Wir erliegen nur einer Täuschung, dass es nicht so ist, und das werden wir zuweilen immer tun, denn so sind wir Menschen. Wir glauben, dass unsere Gedanken und Gefühle die Realität sind. Wenn wir aber wissen, dass sie es nicht sind, dann bedeutet das nicht, dass sie sich nicht mehr real anfühlen und wir immer im Zustand der Verzückung leben. Für mich jedenfalls nicht.

Was hat sich für mich geändert, seit ich das weiß, also nicht seit ich es gehört habe, sondern seit ich das für mich gesehen habe, gesehen habe, dass es in meinem Leben so ist? Ich mache mir keine Sorgen mehr wenn ich mich schlecht fühle, ich beschäftige mich nicht mehr damit, ich frage mich nicht wieso, weshalb, warum oder wo es herkommt, ich versuche auch nicht da rauszukommen, also manchmal schon, aber dann bemerke ich es uns lass es sein, sondern lasse das Gefühl und den Gedanken einfach durch mich durchziehen so lange es eben dauert, weil ich WEIß, dass mein Wohlsein immer da ist, und dass ich automatisch dahin zurückfalle, wenn der Gedankensturm vorbeigezogen ist. Manchmal genieße ich meine schlechte Laune oder meine tiefe Melancholie wie einen Film in dessen Bann ich vollständig gezogen werde. Das ist echt schräg!

Richte Deine Aufmerksamkeit auf Dein angeborenes Wohlsein. Es ist immer in Dir. Wir sind im Kern nichts als Wohlsein.