Die Auster

Ich schaue auf die Frau, die den heutigen Tag erlebt hat. Ich sehe sie am Tisch sitzen, im Gespräch mit einer Freundin, ein sehr schönes und offenes Treffen, und trotzdem, sie schwebt, sie ist nicht verbunden, sie ist sogar so weit weg, dass sie ständig was nachschieben will um diese zappelige Schwebe zu beenden. Um sich zu erden, um zur Ruhe zu kommen. Wie ein Sprinter vor dem Start, aber ein unruhiger, wartet sich sonst angespannt auf….ja auf was denn eigentlich?

Ich merke ‚weg-sein‘ ist mein oberstes Prinzip, mein ‚immer-greifbar-Modus‘. Wenn ich nicht absolut bewusst da bin, dann bin ich weg. Dann schließe ich mich wie eine Auster von der Welt ab, ich ziehe alle meine Sinne ab, ich rieche nichts mehr, ich höre nichts mehr, ich spüre nichts mehr, weder äußerlich noch innerlich, und irgendwann sehe ich nichts mehr, oder nur das allernotwendigste, ich blende aus was sich nur ausblenden lässt.

Und ja, am allerbesten kann ich mich innerlich spüren, durch die jahrelange Übung, ist das inzwischen mein wachster Sinn. Oder vielleicht war es das schon immer. Nur wusste ich nicht was ich damit anfangen soll. Ich hatte aber seit ich mich erinnern kann so ‚Gefühle‘.

Na gut, und jetzt? Je stärker die Ablenkung, desto programmatischer also das automatische Ausblenden. Die Hinbewegung zur Nulllinie.

Ich wollte im Moment anwesend sein. Praktisch nicht machbar, so weit bin ich davon entfernt. Gerade will meine jüngste Tochter meinen Schreibtisch mit Bändern dekorieren. Ich sage irgendwas, Hauptsache sie macht schnell und lässt mich wieder in Ruhe. OH.

Ich versuche mich zu öffnen, den Panzer durchlässig zumachen. Ich spüre die Berührung, ich spüre ihre Begeisterung. Es fällt mir schwer. Ich fürchte mich vor der Intensität meiner eigenen Sinnesempfindungen. Als seien sie gefährlich.

Sind sie gefährlich? Nein, sagt die Stimme, du bist er nur nicht gewöhnt, so viele Jahrzehnte hast du versucht dich unempfindlich zu machen, das braucht einfach Zeit und Übung. Anders geht es nicht. Aber das wird, ganz sicher. Deine inneren Körperwahrnehmungen kannst du inzwischen sehr gut halten, nun kannst du dich der äußeren Welt zuwenden.