80 Prozent

Ich fühle mich bäh.

Was will ich nicht fühlen, oder besser, was fühle ich überhaupt?

Ich stelle den Timer und lasse es reden.

Ich will endlich ankommen, ich will endlich frei sein, ich will nicht mehr leiden und kämpfen und mich schlecht fühlen und Angst haben und mich verstecken und zittern und vermeiden und fürchten und hassen.

Oh Gott, gibt es einen Weg nach draußen, dann bitte hilf mir, hilf mir es anders zu sehen.

Es ist aber gar keine Angst da, das macht mich verwirrt, orientierungslos. Wenn keine Angst da ist, was ist dann da? Wie würde mein schlankes Ich das sehen?

Es würde zu sich stehen und all seinen Eigenschaften und würde es völlig normal finden, dass manche das gut finden und manche nicht. Es würde sich deswegen keinen Deut verstecken. Es würde stahlen mit aller Leuchtkraft und Leichtigkeit.

Ich allerdings habe gerade eine ‚Ich-habe-keine-Angst‘-Angst-Attake. Das ist so schräg, dass ich lachen muss. Unglaublich was es alles gibt. Ich habe keine Angst vor dem Kurs und das macht mir Angst. Es ist so neu, ich kann es nicht einordnen.

Das ist das Stichwort. Der Verstand kommt nicht mehr mit, es braucht Vertrauen, das alles gut ist wie es ist.

Was könnte mir helfen? Ich bitte um Hilfe.

Ich höre: ‚Niemand verlangt etwas von dir, was du nicht zu geben bereit bist, so wie du bist ist es vollkommen in Ordnung, du brauchst dich nicht anzustrengen um irgendetwas Bestimmtes zu erreichen, alles ist nur ein riesiges Spiel, wie auch immer es ausgeht ist gut, es gibt kein schlecht, spiele einfach mit und freue dich daran, darum geht es! Trau dich es dir leicht zu machen, verwende keine Zeit und Energie mit Gedanken und Vorbereitungen, die völlig unnötig sind. Bist du zu diesem Zeitpunkt ausreichend vorbereitet? Ja! Hast du dir in dieser Hinsicht etwas vorzuwerfen? Nein! Wie war das? In 20 % der Zeit erreichen wir 80% des Ergebnisses, und in den restlichen 80% nur noch 20 %. Kannst du mit 80% zufrieden sein? Damit du für alles andere in deinem Leben auch noch Energie hast? Damit ein Kurs nicht alles überschattet und du im restlichen Alltag gar nicht mehr vorhanden bist? Ich frage dich nochmal: Darfst du einfach, leicht und spielerisch deine 80% geben und damit zufrieden sein?‘

Ja, ja, das darf sein, das ist meine Entscheidung, ich will es so machen wie es für mich leicht und locker geht, und ja, 80% sind völlig ausreichend, es ist für mich völlig in Ordnung, ich muss mich dafür nicht aufreiben, es darf leicht sein, leicht für mich.

Ich merke wie ich wieder in meinem Körper ankomme, wie meine Sinne zurückkehren, ich höre wieder, ich sehe wieder, ich rieche wieder, ich taste wieder ich schmecke wieder ich fühle wieder Freude und Verbundenheit mit meinen Kindern und Dankbarkeit über die vielen schönen Umstände, mein Mann, die Kinder, die Freiheit die ich habe, die Selbstbestimmung, den Raum zum Ausprobieren und Heilen, ohne Druck, ohne Not.

Völlig losgelöst von der Erde

Übermorgen ist der erste Kurs aus der neuen Serie und ich habe praktisch keine Angst. Manchmal bin ich nur etwas beunruhigt, weil ich keine Angst habe. Das darf ja nicht sein.

In der Therapie eben habe ich zwei ineinander verdrehte Stränge gesehen, einer hell und einer dunkel. Wenn ich in den hellen reingegangen bin, dann war alles leicht, die Dinge waren nicht wichtig oder schwer oder tragisch, alles war lustig, spannend und leicht. Vor allem leicht. Es fühlte sich so normal an und einfach.

Im dunklen Strang hingegen war die Leichtigkeit und die fehlende Ernsthaftigkeit eine Bedrohung, das darf nicht sein, es muss um jeden Preis bekämpft werden. Ich konnte ganz klar fühlen, dass das nicht zu mir gehört, das ist das was ich gelernt habe, habe lernen müssen. In meiner Kindheit war niemand leicht, alles war schwer, und für sie war ich mit meiner fehlenden Ernsthaftigkeit, wie sie es genannt haben, eine waschechte Bedrohung.

Im Laufe der Stunde konnte ich immer klarer fühlen, dass diese beiden Stränge nicht zusammengehören, das bin nicht alles ich, das ist nicht alles mein wahres Wesen. Ich konnte sie entwirrt nebeneinander sehen.

Diese Angst vor der Leichtigkeit ist erlernt und ich gebe ihr noch dazu einen abergläubischen Anstrich, aber das Universum bestraft mich nicht für Leichtigkeit, das waren meine Eltern.

Mein wahres Wesen ist unbekümmert, spielfreudig und leicht. Deswegen hat es mich zum Tanzen hingezogen, da konnte ich es ein Stück weit leben.

Um zu überleben habe ich es verbannt, ich habe mich zusammengezogen und eingerollt und in den oberen Oberkörper und Kopf verzogen, so klein wie möglich gemacht. Die Verbindung zur Erde habe ich so weit es geht aufgegeben.

Das wird immer deutlicher. Das kam schon früh in der Ausbildung raus, der fehlende Kontakt zum Boden, dann konnte in im Yoga noch nie das Gewicht an den Boden abgeben, in einer Übung zur Funktion des Gewichts kam raus, dass das Fett mich auf der Erde hält, wenn es weg wäre würde ich wegschweben wie ein Helium-Ballon.

Beim Versuch die Übungen aus diesem Buch zu machen, Übungen um den Körper voll und ganz zu bewohnen, wird mir übel und ich muss brechen, wenn ich versuche meine Füße zu bewohnen, nicht nur zu spüren, das kann ich gut, sondern zu bewohnen. Da ist noch so viel Widerstand gegen das Leben auf der Erde. Ich bin, wie meine Ausbilderin sagte, noch nicht vollständig auf der Erde angekommen.

Ich weiß ja wieso, aber das hilft nur ein wenig. Jetzt ist es an der Zeit mir selbst neue Erfahrungen auf der Erde zu ermöglichen, und mich hier niederzulassen, vollkommen in meinen Körper niederlassen, denn nur durch diesen Körper bin ich hier.

Und im Augenblick bin ich völlig fasziniert davon, dass den Körper zu bewohnen, etwas völlig anderes ist als den Körper zu spüren.

Ich versuche es wieder. Ich stelle mich auf die Füße und stimme mich auf mein Selbst in meinen Füßen ein. Ich spüre zwar den Bodenkontakt und trotzdem fühlt es sich so an als würde ich frei im Raum schweben. Ich versuche mich in meinen Füßen niederzulassen, mich in die Füße sinken zu lassen, sofort würgen und Übelkeit und Schwindel. Keine Worte, nur Körperempfindungen.

Ich bleibe ein wenig dabei. Ich höre: ‚Da ist noch so viel Schmerz, damit kommst du in Kontakt wenn du dein Gewicht an die Erde abgibst. Das braucht Zeit.‘

Ok, das reicht für heute.